Ich weiß nicht, ist es schon das Ende – ein Zug, der in voller Fahrt entgleist, lautlos wie die Erinnerung an einen Traum. Ist das schon alles? Ein paar Zeilen in der Zeitung, die niemand liest. Staub, der – kaum aufgewirbelt – sich bald schon wieder legt. So schnell also wäre es vorbei: schmerzhaft, aber mühelos. Ein Schrei, der die Dunkelheit zerreißt. Ein Vogel, der aus heiterem Himmel auf die Erde stürzt. Kein Weltuntergang, wie es scheint. Keine Vergebung der Sünden. Ich weiß nicht, hat es wirklich schon begonnen?
Kategorie: Nachrichten aus dem Niemandsland
(2011)
Am Anfang
Am Anfang ist die Schwermut, wie eine schwarze Sonne über allem, was am Boden kriecht. Die Dunkelheit in den Gesichtern der Ausgestoßenen. Das unterirdische Grollen in der Ferne. Das Flüstern und Tuscheln in den Katakomben unter der Stadt. Am Anfang ist nichts als die Ungeduld. Das Flimmern des Asphalts an einem heißen Sommertag. Eine unwillkürliche Bewegung meiner Hand, das Zittern meiner Wimpern beim Anbruch der Nacht, das Schweigen der Sterne hinter den Wolkentürmen. Mit dem Sturm kehrt die Ruhe zurück, das erstickte Lachen der Götter.
Dem Himmel nah
Dem Himmel nah auf meinem Weg durch die Niederungen des Lebens. Wie ein Blinder an der Hand eines Fremden, sehe ich mit Augen, die nichts von dem erkennen, woran mir liegt. Mir selbst ein Unbekannter, dem Lachen auf der Spur, das mir vergangen ist.
Fast schon vergessen
Fast schon vergessen, was gestern gewesen ist, verblasst, was vor wenigen Stunden unendlich bedeutsam schien, verloren, was ich eben noch für mein Leben hielt. Dennoch vermisse ich nichts. In diesem Augenblick erscheint mir, was ist, komplett. Die kleine Fliege an der Wand, der Staub auf der Fensterscheibe, das Gelächter auf der Straße, sogar die Regenwolke in der Ferne. Als ob alles einen Sinn ergäbe – ohne mich.
Echo
Echo meiner Tränen, gefangen in diesem Zimmer wie das fahle Licht des Mondes, so zerbrechlich, die dünne Haut eines Traums. Schatten, deren Flüstern die Wände belebt, Stimmen aus dem Jenseits. In einer Ecke, regungslos, geduldig, die Spinne. Ich stelle mir vor, wie sie mich betrachtet, wie sie durch mich hindurchsieht. Meine Furcht in ihren Augen, die sich niemals abwenden, die sich niemals schließen. In meiner Hand ein Brief, ungelesen. Es genügt, ihn zu halten. Ich trage ihn bei mir, wenn ich dieses Zimmer verlasse. Meine Tränen. Die Schatten und Stimmen. Deine Worte. Sogar der Mondschein, der an mir haftet wie Blütenstaub. Nur die Spinne rührt sich nicht. Was ich tue, bedeutet ihr nichts. Selbst wenn ich fort bin, ist es, als zappelte ich noch in ihrem Netz.
Mit gespaltener Zunge
Mit gespaltener Zunge ans Eingemachte, der Wahrheit an den Kragen – ohne Rücksicht auf Verluste. Aber was ist Wahrheit, wenn man im Traum nicht daran denkt, den Kopf in die Wolken zu stecken, hübsch geschmückt mit all den Fragezeichen, welche die Spreu vom Weizen trennen. Schweigen im Walde oder auch: der kleine Tod für zwischendurch. Regungslosigkeit zwischen den Zeilen. Nichts ist zu sagen – und dies mit Nachdruck. Kein Fenster dieser Welt, das sich zur Hoffnung öffnet. Keine Lüge, die das Blau des Himmels auf dem Schwarzmarkt verhökert.
Verborgen
Verborgen in den Tiefen der Erinnerung, fast vergessen, verloren, aber doch nicht ganz aus der Welt. Ein unscheinbares Stückchen Wirklichkeit unter der Oberfläche des Gegenwärtigen – ohne Gesicht und ohne Namen. Kraftlos. Schweigsam. Geheimnis wider Willen.
Irgendwann
Irgendwann hört es auf. An irgendeinem Punkt geht es nicht mehr weiter. Das ist vielleicht noch nicht das Ende, es ist nur vorbei – und dann endgültig. Wer weiß, ob man es überhaupt bemerkt. Man wähnt sich noch unterwegs, hat noch sein Ziel vor Augen, während die Zeit längst stillsteht. Wir sind an einen Weg gebunden, der sich im Leeren verliert: ohne Ankunft, ohne Umkehr. Wir wissen nicht, was uns antreibt. Wir folgen seit jeher einer Spur, die wir selbst erst noch hinterlassen werden – unentwegt.
Stille Nacht
Stille Nacht unter freiem Himmel, eingesperrt in die Ewigkeit, das farbige Rauschen der Finsternis. Für einen Moment der Welt abhanden gekommen – wie ein Schrei, der ungehört verhallt. Und doch beide Füße auf festem Grund, mit einem Zugvogel im Herzen, der mir die Ferne zuflüstert, das Unbekannte hinter dem Gartenzaun. Tief verwurzelt in der Wirklichkeit, den Blick zu den Sternen erhoben. Träume im Exil, die geheimen Wünsche im Brunnen.
In mir
In mir das Fremde, das mich zum Mörder macht oder zum Liebenden, das in meinem Namen tötet oder Leben schenkt. Irgendwann wacht man auf: ohne Gedächtnis, bloß noch eine Marionette ohne Herkunft. In meiner Brust schlägt das Herz eines anderen – eine Maschine, die ich nicht anhalten kann. Längst habe ich die Kontrolle verloren, mein eigenes Leben rinnt mir durch die Finger. Die Erinnerung gelöscht, meine Träume entführt. Wie geht es weiter? Es ist, als ob man aus dem Fenster vor eine Wand blickt: kein Horizont, der mich ruft, für mich kein Himmel, keine Stimmen aus der Ferne. Nur ein dumpfes Pochen, das mich einschläfert.