Über den Berg

Über den Berg mit letzter Kraft, den Himmel als Ziel, die Sterne und das, was dahinter ist. Den Gipfel bezwingen, um für den Bruchteil eines Augenblicks die Schwerelosigkeit am eigenen Leib zu erfahren. Danach der Sturz in den Abgrund. Der Fall aus allen Wolken, hinab in eine lächerliche Tiefe. Als ob all die Anstrengung nur beiläufiges Vorspiel gewesen wäre, die Überwindung bloß ein Betrug an der Wahrheit des Scheiterns.

Haut und Knochen

Haut und Knochen, was ich schreibe, was ich denke, was ich tue, wenn alles verloren ist. Blutleer die Wahrheit auf meiner Stirn. Was bleibt, wenn alles unter den Teppich gekehrt ist. Mit geschlossenen Augen sehe ich, was offenbar ist. Die undurchdringliche Schwärze des Schlafs. Die schimmernde Glut des Abgrunds. Die verlorene Unschuld der Ferne. Was ich bin, wenn alles verschwunden ist. Unendlich nackt: die Sonne über einem sterbenden Traum.

Ein großer Sprung

Ein großer Sprung ins Unbekannte, an einem Tag im Sommer, der bloß noch Erinnerung ist – wenn überhaupt. Ein kleiner Schritt mit verbundenen Augen, am Abgrund entlang, der wie eine Spinne auf deinen Fehltritt zu warten scheint, geduldig und ungerührt. Vielleicht überschätzen wir die Bedeutung der Gefahr. Die Bedeutung unserer Angst. Wozu brauchen wir festen Boden unter den Füßen? Schwerelos, wie wir sind.

Morgen

Morgen werde ich die Welt zerstören, vielleicht mit einem Augenzwinkern, vielleicht mit einem einzigen Wort, wer weiß, ein Atemzug genügt, um die Zukunft in den Abgrund der Zeit stürzen zu lassen. Ein Mensch allein, völlig unbewaffnet, der das Ende heraufbeschwört, die endlose Nacht der Menschheit. Ein einziger Gedanke, der den Untergang einläutet, das vollkommene Verstummen der Geschichte.

Neue Heimat

Neue Heimat am Ende eines langen Weges: das Unbekannte, wenige Meter nur vom Abgrund, dort, wo die Welt sich ins Unbegreifliche verliert. Schlafwandler sind wir, dem Sturm entkommen, unser Denken in Nacht getaucht, unsere Hände in Unschuld gewaschen. Wanderer ohne Ziel, und doch ist unser Leben nichts als Ankunft. Kinder sind wir, ohne Vergangenheit – nichts hält uns auf. Was wir wissen, was wir sind: ein unerforschtes Land, das vor uns liegt.

Ein guter Mensch

Ein guter Mensch, der seine Schulden bezahlt, der hält, was er verspricht – ohne Rücksicht auf Verluste. Ein großes Herz, das unentwegt schlägt, das den gottlosen Stürmen trotzt, ohne mit der Wimper zu zucken. Die halbe Wahrheit, so bescheiden, genügte schon, um aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, aus einem Abgrund die Brücke, welche heimwärts führt. Ein falsches Lächeln, das einen Idioten irre macht. Ein letztes Wort, unausgesprochen, das die Welt verstummen lässt.

Tag ohne Licht

Tag ohne Licht – mein Leben nur ein Schatten deines Fernbleibens, ein dunkler Fleck auf diesem weißen Blatt Papier. Ich vermisse dich nicht, ich erkranke an deiner Abwesenheit, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Um ehrlich zu sein, bemerke ich es nicht einmal – ich lausche bloß dem Geflüster in mir, den Gerüchten, die sich im stickigen Dunkel meines Körpers fortpflanzen. Kein Schmerz, nur die dumpfe Taubheit meines Denkens. Ein schwarzes Loch, wo zuvor die Sonne schien, irgendwo in mir oder am Ende der Welt. Diese sinnlose Finsternis lockt mich in ihren Abgrund, verschluckt mich, dieses unaussprechliche Wort ohne Bedeutung.

Im Gleichgewicht

Im Gleichgewicht oder bloß in der Schwebe? Perfekt ausbalanciert im freien Fall aus unendlicher Höhe in unendliche Tiefe. Schwerelos im Niemandsland meiner eigenen Abwesenheit. Das ist nicht die innere Ruhe, es ist ein Kampf ums Überleben. Ein Augenblick der Schwäche stürzt dich in den Abgrund, von dem du zuvor nicht einmal wusstest, dass es ihn gibt. Die geringste Unaufmerksamkeit lässt dich straucheln. Schweigend der Zerbrechlichkeit ins Auge sehen. Ein Wimpernschlag, der die Welt zerteilt.

Wenige Schritte

Wenige Schritte vom Ende der Welt entfernt, blicke ich in diesen Abgrund der Geschichte, furchtlos, skeptisch, noch immer nicht restlos überzeugt. Irgendwo, sag ich mir, muss diese Welt enden. Nun, da ich an der letzten Grenze stehe, erscheint es mir undenkbar. Was geschieht, wenn ich zu weit gehe? Wird eine unsichtbare Hand mich retten? Oder gibt sie mir den entscheidenden Stoß? Ich sehe hinüber zur anderen Seite – aber es gibt sie gar nicht: die andere Seite, es gibt kein dort drüben. Wie nur könnte ich überhaupt zu weit gehen? Ist es nicht vielmehr, als liefe ich gegen eine Wand? Ich sehe in diesen Abgrund, der wie ein erblindeter Spiegel ist: ich selbst ein Fremder in einer schwindenden Wirklichkeit.

Ein einziger Schritt

Ein einziger Schritt genügt, um in den Abgrund zu stürzen, die kleinste Unachtsamkeit führt ins Verderben, ein winziger Fehltritt, damit die Welt vor die Hunde geht. Zerbrechlichkeit ist uns in die Wiege gelegt. Die Nächte unseres Denkens – perforiert von Angst und Sorge, böses Erwachen selbst dem Sekundenschlaf eingeboren. Dennoch schließe ich die Augen, um dem Leben näher zu sein. Ich verlasse die Wirklichkeit, tauche in die Welt ein für den Bruchteil eines Augenblicks, für immer gefangen in einem Wimpernschlag.