Ein Loch

Ein Loch ohne Fenster, ohne Tür, ohne Licht. Kein Zimmer. Ein Ort, dunkel und still, an dem man beginnt, über Schuld nachzudenken. Von Menschen erdacht und gebaut – für Menschen. Hier unten gibt es keine Wahrheit. Der Himmel: nichts weiter als ein Gerücht, ein Versprechen, an das niemand glaubt. Ich weiß nicht, sind meine Augen offen oder geschlossen? Stehe oder liege ich? Warum bin ich hier? Da es einen Grund geben muss, werde ich einen erfinden. Ein Ort, an dem es keine Unschuld gibt.

Schuldig

Schuldig im Sinne der Anklage, was immer das heißt. Ich gebe alles zu, und doch: was wird mir überhaupt zur Last gelegt? Das Verbrechen, ein Mensch zu sein? Oder der bloße Umstand, dass ich lebe? Und wem wäre mein Leben ein Dorn im Auge? Gott? Habe ich mir die ganze Welt zum Feind gemacht? Oder zumindest die Menschheit? Bin ich nicht vielleicht selbst der Kläger? Am Ende bestünde eben darin meine Schuld.

Gefallen

Gefallen auf dem Weg zu den Sternen – wie ein umgekehrter Engel, der fortan unter Menschen haust: Kopf in den Wolken, die Füße unter dem gedeckten Tisch. Wie ein brennendes Wort, das vom Himmel stürzt, um alle Lüge dieser Welt auszulöschen. Gestrauchelt – wie ein einzelner Sonnenstrahl auf Irrfahrt durchs menschliche Herz. Kein Verzeihen ohne die unauslöschliche Erinnerung der Schuld. Keine Erleuchtung ohne die Schwärze des Abgrunds. Schweigen für die Erlösung. Ganze sieben Schritte zu einem besseren Leben: obdachlose Weisheit auf regennasser Straße. Augen für das zertretene Glück zu deinen Füßen.

Ohne Ergebnis

Ohne Ergebnis. Die Verhandlungen mit Gott sind gescheitert. Es gibt keinen Pakt, kein Abkommen, keinen Vertrag, auf den man sich berufen könnte. Die Zeit der Opfer ist vorbei, ab sofort ist die Wahrheit eine Frage des guten Geschmacks oder schlechter Manieren. Kein Mensch, dessen Tod geschrieben stünde, kein Leben, das auf allen vieren kriechend erschlichen wäre. Der Sturm aufs Paradies ist verschoben. Keine Verdienste mehr. Keine Schuld. Keine Gebete und keine Plagen. Gott selbst ist nun frei – endlich schlafen oder wenigstens des Blick abwenden. Das Jüngste Gericht: vertagt.

Dunkler Stein

Dunkler Stein in meiner Hand, das Herz eines Vogels, der noch immer klagend die Welt umkreist, ein schwarzes Loch in seiner Brust, in welchem alle Hoffnung verschwindet, alle Freude, alles Lachen. Seltsamer Glücksbringer. Die Tage verschläft er in einer Schublade meines Schreibtisches, aus dem er sich nachts erhebt wie ein Stern, der den Himmel durchlöchert. Eine neue Welt in eisiger Ferne, bevölkert von den Träumen der Verstorbenen, mit denen sich die Straße vor meinem Fenster füllt. Auf welcher Seite des Spiegels wütet der Tod? Welchen Weg wählt die verlorene Zeit meiner Einsamkeit? Keine Erinerung, die nicht aus einer grauen Wolkenschar gestiegen wäre, kein Zögern, kein Versäumen ohne die Wegweiser der Schuld. Zärtlichkeit des Vergessens, die nackte Ahnungslosigkeit meines Schweigens.

An guten Tagen

An guten Tagen springe ich über meinen eigenen Schatten. Ich durchtrenne die Nabelschnur des erinnerten Lebens, schnappe nach Luft wie eine Blume. Ich verlasse diese Welt lachend, unbemerkt. Die Erde dreht sich, als hätte es mich nie gegeben. Keine Reue oder Schuld. Ich laufe davon, weil mich nichts mehr hält. Keine Menschenseele. An guten Tagen bin ich ein Sonnenstrahl in den Tiefen des Meeres – wie aus einer anderen Zeit, haltlos und doch gefangen im Rauschen einer Muschel.