Auf Zehenspitzen

Auf Zehenspitzen durch die Träume eines anderen, unbemerkt, als Eindringling, der eine fremde Welt auf den Kopf stellt. Ich breche verschlossene Türen auf, zerschlage Fensterscheiben, setze ganze Häuser in Brand. Bei allem, was ich tue, bleibe ich unerkannt, verborgen hinter einer Maske aus gefälschten Erinnerungen. Ich hänge die Sonne am Himmel auf, pflanze Bäume in der Wüste. Ich gieße die Blumen im Vorgarten des Schuldirektors. Ich bin das Chaos. Ich sorge für deinen ungestörten Schlaf.

Auf der Straße

Auf der Straße, einfach bloß unterwegs, vorbei an den leeren Fenstern meiner Kindheit, den verlassenen Vogelnestern, die seit einer Ewigkeit in abgestorbenen Bäumen hängen, vorbei an Friedhöfen, die kein Mensch mehr betritt. Wo auch immer ich ankomme, es ist, als wäre ich nie fort gewesen. Selbst in völliger Fremde finde ich mich wieder. All die verblühten Blumen, die ich mir zu einem Kranz flechte, das Lachen der Kinder, namenlos oder ungeboren. Die misstrauischen Blicke der Höhlenbewohner.

Ich weiß

Ich weiß, was du morgen tun wirst, sagen wir: gegen Mittag, an einem Ort, den ich nicht kenne, irgendwo, vielleicht verborgen, und trotzdem sehe ich diesen Ort in allen Einzelheiten vor mir. Ich sehe die Blumen auf einem kleinen Tisch links von der Tür zum Schlafzimmer, das kleine Fenster über dem Bett – kein Sonnenlicht auf dieser Seite des Hauses, nur lichte Schatten an den Wänden. Gelb, die Farbe der Blumen, wie das Kleid der Frau auf dem Bild schräg gegenüber. Ihr Blick in eine Welt jenseits des Gemalten. Ein Brief auf dem Fußboden, ein Name darauf, unleserlich. Ich möchte ihn aufheben, auf den kleinen Tisch legen. In diesem Moment dreht sich der Schlüssel im Schloss. Nur kurz öffnet sich die Tür. Lärm der Straße wie ein jähes Erwachen.