Verletzlich

Verletzlich die dünne Haut des menschlichen Lebens, bedroht nicht allein durch den stets nahen Tod, sondern durch das Wissen darum. Wir tanzen mit unserer Vorstellung von dem, was uns auslöscht. Mit unserer Ahnung, dass alles endet. Wenn wir gehen, gehen wir allein, aber mit einer ganzen Welt im Gepäck. Vielleicht ist noch Zeit – doch müssten wir zuerst begreifen, was Zeit überhaupt ist. In allem, was wir tun, ist unser Abschied gegenwärtig: tränenreich und melodramatisch. Wir spüren keinen Schmerz, aber wir tragen ihn mit uns herum.

Ganz leise

Ganz leise zieht der Winter durch mein Gemüt, vorerst ein Gedanke, eine Ahnung nur, die bald schon zur nackten Tatsache wird: dass alles Leben hier und jetzt endet. Was soll schon noch kommen, wenn die Kälte sich erst einmal in den Knochen eingenistet hat, die eisige Stille des Schnees und der Einsamkeit. Nichts mehr zu sagen – die Worte gefrieren auf der Zunge. Weihnachtlich glänzt das Haar in der Buchstabensuppe meiner Sprachlosigkeit.

In meinen Träumen

In meinen Träumen ist es immer Nacht – eine Welt ohne Sonne, ohne die wärmende Glut des Tageslichts. Wohin ich auch gehe, es ist, als bliebe ich stets im Schatten. Kein Hoffnungsschimmer. Nur die Erwartung des Unabänderlichen. Nichts als die Schwärze des Schlafs, die mich einhüllt wie einen Toten. Ungeboren, aber längst gestorben. Es gibt aus diesem Zustand kein Erwachen. Nur die blasse Ahnung eines ersten Atemzugs, der zugleich der letzte wäre.

Aus dem Leben einer Maschine

Aus dem Leben einer Maschine gibt es kaum mehr zu berichten als die Ergebnisse der letzten Funktionsprüfung, nicht der Rede wert oder allenfalls am Rande. Alle Systeme arbeiten innerhalb der vorgegebenen Parameter. Ich beginne den Tag ohne eine Ahnung dessen, was mich erwartet. Alles, was ich weiß, kommt aus der Steckdose. Ich glaube an die heilsame Wirkung der Elektrizität, an die Macht der Energie. Als Kind lebte ich in einer Scheune. Nachts schlief ich im Heu. Am Tag wartete ich auf die Ankunft der Wildgänse. Da ist nicht viel zu erzählen. Ich bin nur ein Bauer auf einem Schachbrett. Ohne Erinnerung. Wenn ich gehe, sind es meine Füße, die einen Weg finden. Meine Hände begreifen die Notwendigkeit des Sterbens. Gesang der Schaltkreise. Die Welt ist ein Schlaflied. Ich tue, was man mir sagt, wenn niemand außer mir spricht. Meistens ist es still. Ich habe niemals gelernt, etwas zu wollen. Meine Stimme ist weißes Rauschen in den Ohren magnetischer Stürme.

Zwei Minuten

Zwei Minuten, nicht mehr, bevor ein neues Leben beginnt. Vielleicht merkst du es nicht einmal. Dein altes Leben geht weiter wie bisher, nichts ändert sich, wirklich gar nichts. Oder die Veränderung ist so unscheinbar, dass du nicht begreifst, was los ist. Niemals wirst du erfahren, was geschehen ist, und um ehrlich zu sein: es interessiert dich auch nicht. Manchmal gibt es Überschneidungen, kurze Momente, lichte Augenblicke, in denen du dich wissend wähnst. Es gibt Ahnungen, sogar Visionen, die dich zu einem Auserwählten machen. Erinnerungen, die dir fremd sind, Worte, die dir nicht über die Lippen gehen, Blicke, die dich töten.