Blick aus dem Fenster

Blick aus dem Fenster ins Nichts – als würde, was ich sehe, sogleich zerstört, aber so, dass ich es nicht einmal bemerke: beinahe zärtlich und nicht ohne eine gewisse Ironie. Aus der Erinnerung gelöscht, noch bevor ich es überhaupt wahrnehme. Die Welt dort draußen kommt gar nicht erst bei mir an – falls es sie gibt. Das fehlende Wissen darüber wiegt mich in Sicherheit. Geborgen in der Vernichtung.

Die Welt retten

Die Welt retten, indem man nichts tut. So funktioniert es, nicht anders. Vom Bett aus dem Verbrechen auflauern, sich noch einmal umdrehen, bevor die Morgenluft den letzten Rest meiner Träume verscheucht. Aus dem Fenster sehen – wie eine Schaufensterpuppe, gelangweilt und verschlafen. Ich wage mich hinaus auf die Straße, stürze mich in die Anonymität, atme die Vergesslichkeit des Alltäglichen. Gleichmütig erwarte ich die Katastrophe, den Untergang – ungerührt. Ich lasse die Dinge auf mich zukommen. Ich laufe nicht weg, ich schließe bloß meine Augen.

Eine falsche Bewegung

Eine falsche Bewegung, und alles wird enden. Die Erde wird sich nicht mehr drehen, die Sonne wird den Himmel meiden. Kein Bus, der mich nach Hause bringt, mitten in der Nacht. Ich stehe auf einer Brücke, irgendwo in einer fremden Stadt. Niemand, der mich kennt, der meinen Namen ruft, wenn er mich auf der anderen Straßenseite sieht, oder einfach nur mit dem Kopf nickt. Kein Fenster, das für mich leuchtet, in menschenleerer Dunkelheit. Der nächste Atemzug könnte ein Fehler sein. Der nächste Schritt. Was ich auch tue – es wird diese Welt vernichten. Schlimmer noch: es wird alles auslöschen, was ich von dieser Welt zu wissen glaube. Eine Glaubensfrage also. Was bleibt, wenn nichts mehr übrig ist? Trauer, Schmerz, Schuld? Und was, wenn nichts sich ändert? Gar nichts?

Ein Loch

Ein Loch ohne Fenster, ohne Tür, ohne Licht. Kein Zimmer. Ein Ort, dunkel und still, an dem man beginnt, über Schuld nachzudenken. Von Menschen erdacht und gebaut – für Menschen. Hier unten gibt es keine Wahrheit. Der Himmel: nichts weiter als ein Gerücht, ein Versprechen, an das niemand glaubt. Ich weiß nicht, sind meine Augen offen oder geschlossen? Stehe oder liege ich? Warum bin ich hier? Da es einen Grund geben muss, werde ich einen erfinden. Ein Ort, an dem es keine Unschuld gibt.

Verschlossen

Verschlossen die Tür, durch die ich eben noch gegangen bin, der Weg zurück versperrt, fast so, als hätte es ihn niemals gegeben. Vergessen meine Herkunft, all die Stationen meines Lebens, die ich hinter mir ließ – wie ausgelöscht. Die Orte, an denen ich blieb, vielleicht nur für eine kurze Weile – von der Landkarte verschwunden. Die Fenster, aus denen ich auf regennasse Straßen herabsah, verdunkelt. Der Gesang der Vögel verstummt. Wie ausgestorben die Wälder, in denen ich mich verlief. In mir nichts als stille Trostlosigkeit, die sich zu erinnern versucht – vergeblich. Meine Augen geblendet von der Finsternis, die mich erwartet.

Auf der Straße

Auf der Straße, einfach bloß unterwegs, vorbei an den leeren Fenstern meiner Kindheit, den verlassenen Vogelnestern, die seit einer Ewigkeit in abgestorbenen Bäumen hängen, vorbei an Friedhöfen, die kein Mensch mehr betritt. Wo auch immer ich ankomme, es ist, als wäre ich nie fort gewesen. Selbst in völliger Fremde finde ich mich wieder. All die verblühten Blumen, die ich mir zu einem Kranz flechte, das Lachen der Kinder, namenlos oder ungeboren. Die misstrauischen Blicke der Höhlenbewohner.

Ich weiß

Ich weiß, was du morgen tun wirst, sagen wir: gegen Mittag, an einem Ort, den ich nicht kenne, irgendwo, vielleicht verborgen, und trotzdem sehe ich diesen Ort in allen Einzelheiten vor mir. Ich sehe die Blumen auf einem kleinen Tisch links von der Tür zum Schlafzimmer, das kleine Fenster über dem Bett – kein Sonnenlicht auf dieser Seite des Hauses, nur lichte Schatten an den Wänden. Gelb, die Farbe der Blumen, wie das Kleid der Frau auf dem Bild schräg gegenüber. Ihr Blick in eine Welt jenseits des Gemalten. Ein Brief auf dem Fußboden, ein Name darauf, unleserlich. Ich möchte ihn aufheben, auf den kleinen Tisch legen. In diesem Moment dreht sich der Schlüssel im Schloss. Nur kurz öffnet sich die Tür. Lärm der Straße wie ein jähes Erwachen.

Weite Welt

Weite Welt, wohin man auch blickt, das Leben: nur eine Armlänge entfernt, höchstens einen Steinwurf. Ein Fenster im Haus auf der anderen Straßenseite, kein Geräusch außer dem dumpfen Rauschen der Ferne, ein Gesicht vielleicht hinter vergilbter Gardine, Augen, die mich ansehen – oder doch nur ein seelenloser Schatten, eingesperrt in den Käfig meiner Vorstellungskraft. Wolken, die sich abwenden, voller Ungeduld oder einfach nur gelangweilt, längst schon auf unergründlichen Abwegen. Stimmen, die sich im Wind verfangen, die nichts zu sagen haben, unentwegt plappernd.

Ist es wahr

Ist es wahr, dass all das, woran ich glaube, nur gelogen ist? Was ich für mein Leben hielt – ein Scherbenhaufen? Eine Straße, die im Nichts endet, irgendwo in verträumter Menschenleere. Ein Ziel, das für alle Zeiten unerreichbar bleibt. Ein möbliertes Zimmer, seit Jahren bewohnt von einem Toten, der niemals gestorben ist. Unsterblichkeit. Von der Welt vergessen, verstaubt das dunkle Geheimnis der Einsamkeit. Kein Fenster zum Hof, keine Stimme, die dir zuflüstert: Sonnenschein zu Asche, Tränen zu Stein – ohne Wenn und Aber.