Nüchtern betrachtet

Nüchtern betrachtet, geht keine Sonne über uns auf. Der Himmel, dem wir uns freudig hingeben, ist bloß ein schwarzes Loch, das uns verschlingt, sobald wir die Augen öffnen. Der Mond, ein öder Stein, der hinter vorgehaltener Hand Geheimnisse ausplaudert, die niemand wissen will. Zerbrechlicher Zauber, dem wir unser Leben anvertrauen, all unsere Träume, die ersten und letzten Gedanken des Tages. Die Weite der Welt beginnt dort, wo wir aufhören, groß zu sein.

Ein Reisender

Ein Reisender, der nicht wissen will, wann und wo er ankommt. Der nicht mit dem Finger über die Landkarte fährt, auf der Suche nach einem Quartier für die Nacht. Der nirgends Ruhe findet, nirgends Frieden – außer im Vergessen. Zeit bedeutet ihm nichts, und Ferne ist für ihn nur ein Wort, das er gebraucht wie einen Zahnstocher. Er macht sich auf den Weg, während andere noch die Wünsche und Träume in ihrem Kleiderschrank zählen. Er hat keine Eile, und doch ist kein Mensch schneller.

Wenige Worte

Wenige Worte, die noch zu verlieren wären angesichts der geschwätzigen Wirklichkeit. Deine Tage sind gezählt, jetzt, da die letzten Sekunden wie Ameisen umherirren. Dieses unwahrscheinliche Glück in Blut getaucht – wie zur Verhöhnung des Lebens. Die Jugend: eine Insel in den Armen des Todes. Dort, wo Träume zu Boden sinken wie welkes Herbstlaub. Wo Schreie auf dem Grund eines Sees begraben sind. Mein Blick – gehüllt in die Tränen ewigen Schweigens.

Licht und Schatten

Licht und Schatten in allem, was uns widerfährt, in allem, was wir tun. Wer in den Spiegel schaut, sieht zwei Gesichter: sein eigenes und das eines Fremden. Unser Leben, das uns so selbstverständlich erscheint, ist nur ein Teil der Wahrheit. Tief verborgen in dem, was wir zu sein glauben, wütet, was uns vernichtet. Wie besessen arbeiten wir an unserem eigenen Ende, während wir uns unsterblich wähnen. Licht und Schatten. Unsere Augen blinzeln im Sonnenlicht, mit den Füßen stecken wir in schwarzer Erde. Sogar in unseren kühnsten Träumen sind wir gefesselt. Wir sind nichts ohne unseren Untergang.

Hand in Hand

Hand in Hand, die Augen geradeaus, keine geheimnisvollen Blicke, kein Flüstern und kein Murmeln – vor uns das schwarze Loch, auf das wir zusteuern wie Schiffbrüchige, nur knapp dem Untergang entronnen, glücklich in unserem Halbschlaf, der uns die Träume ebenso vorenthält wie die Wirklichkeit. Keine Engel, die unseren Weg kreuzen, wir sind allein. Die Zeit hat nichts mehr zu sagen – es ist die Stille, die zu uns spricht, der undurchdringliche Schatten unserer Sprachlosigkeit.

Stille Nacht

Stille Nacht unter freiem Himmel, eingesperrt in die Ewigkeit, das farbige Rauschen der Finsternis. Für einen Moment der Welt abhanden gekommen – wie ein Schrei, der ungehört verhallt. Und doch beide Füße auf festem Grund, mit einem Zugvogel im Herzen, der mir die Ferne zuflüstert, das Unbekannte hinter dem Gartenzaun. Tief verwurzelt in der Wirklichkeit, den Blick zu den Sternen erhoben. Träume im Exil, die geheimen Wünsche im Brunnen.

Sperrgut

Sperrgut – all die Träume, hübsch verpackt in glitzernde Folie oder buntes Papier, all die Hoffnungen, manchmal fast zum Greifen nah und doch aus einer anderen Welt. All die verlorenen Augenblicke, weit zurück oder sogar jetzt – in einem anderen Leben. Dieses einmalige Lachen, das mir nicht aus dem Kopf geht, obwohl es längst verklungen ist. Deine Schritte, deren endloses Echo nun mein Herzschlag ist. All diese Erinnerungen, die uns anhängen wie ein übler Geruch. Letztlich sind wir, was wir mit uns herumtragen. Und selbst wenn wir zum Himmel aufschauen, gehen wir noch gebückt.

Sternenhimmel

Sternenhimmel über mir, schlicht und ergreifend. Eine Welt irgendwo da draußen, unnahbare Schönheit, noch nicht zum Leben erwacht, während ich – hier unten – mit meiner Müdigkeit ringe, dem Schlaf trotze und meine Träume auf Reisen schicke. Mein Blick geht ins Leere. Nicht die leiseste Ahnung, was mich dort, wo nichts zu sein scheint, erwartet, nichts, denke ich, nur die kalte, geduldige Unerreichbarkeit. Müßig, solchen Gedanken nachzuhängen – mit einer schwarzen Wolke im Herzen. Das fahle Licht in der Ferne schwindet, während mein Kopf zu Boden fällt.

Fremdes Blut

Fremdes Blut in meinen Adern – oder zumindest das Blut eines Menschen, der ich nicht bin, nicht sein will. Ein anderes Leben unter meiner Haut, beängstigend und erfrischend zugleich, verstörend und besänftigend wie eine unsichtbare Stimme, die mich in den Schlaf singt. Heilsam und Verderben bringend wie die Dunkelheit, die sich in mein Herz schleicht, um Träume zu gebären. Nacht auf meinen Augen, mein Denken bloß noch ein Rauschen, der niemals endende Schrei eines Sterbenden.

Dunkler Stein

Dunkler Stein in meiner Hand, das Herz eines Vogels, der noch immer klagend die Welt umkreist, ein schwarzes Loch in seiner Brust, in welchem alle Hoffnung verschwindet, alle Freude, alles Lachen. Seltsamer Glücksbringer. Die Tage verschläft er in einer Schublade meines Schreibtisches, aus dem er sich nachts erhebt wie ein Stern, der den Himmel durchlöchert. Eine neue Welt in eisiger Ferne, bevölkert von den Träumen der Verstorbenen, mit denen sich die Straße vor meinem Fenster füllt. Auf welcher Seite des Spiegels wütet der Tod? Welchen Weg wählt die verlorene Zeit meiner Einsamkeit? Keine Erinerung, die nicht aus einer grauen Wolkenschar gestiegen wäre, kein Zögern, kein Versäumen ohne die Wegweiser der Schuld. Zärtlichkeit des Vergessens, die nackte Ahnungslosigkeit meines Schweigens.