Reise in die erstarrte Welt meiner verlorenen Gedanken. Ich weiß nicht, ähnelt es einer Müllhalde oder einem Museum? All die Schwere, die Bitternis, all die vergebene Liebesmüh, die Nutzlosigkeit, die Unglaubwürdigkeit. Diese Reise ist kein Blick zurück. Es ist, als müsste ich all die Bruchstücke aus dem Weg räumen, der vor mir liegt. Was ich dachte, stellt sich mir entgegen – unwirklich und unüberwindbar. Mein Leben vor verschlossener Tür, den Kopf auf Eis gelegt, während meine Füße die Erde umrunden.
Kategorie: Nachrichten aus dem Niemandsland
(2011)
Zwei Minuten
Zwei Minuten, nicht mehr, bevor ein neues Leben beginnt. Vielleicht merkst du es nicht einmal. Dein altes Leben geht weiter wie bisher, nichts ändert sich, wirklich gar nichts. Oder die Veränderung ist so unscheinbar, dass du nicht begreifst, was los ist. Niemals wirst du erfahren, was geschehen ist, und um ehrlich zu sein: es interessiert dich auch nicht. Manchmal gibt es Überschneidungen, kurze Momente, lichte Augenblicke, in denen du dich wissend wähnst. Es gibt Ahnungen, sogar Visionen, die dich zu einem Auserwählten machen. Erinnerungen, die dir fremd sind, Worte, die dir nicht über die Lippen gehen, Blicke, die dich töten.
Im Wald
Im Wald verborgen, geschützt vor den Blicken der Menschen: mein Herz, dieses scheue Wild, das sich nur bei Nacht aus seinem Versteck wagt. Im dunklen Dickicht verschläft es die Tage, unbemerkt von einsamen Spaziergängern und verirrten Wanderern. Reglos verharrt es im Schatten der Bäume, leise zitternd, wenn es zu träumen beginnt – wie eine Blume im Schnee, die das Ende des Winters herbeisehnt.
Selbstverständlich
Selbstverständlich, sollte man meinen, was ich bin und wie ich es wurde, doch sobald ich darüber nachdenke, liegt nichts ferner, nichts könnte unbekannter sein. Der Blick in den Spiegel macht mich zu einem Fremden, der mich anstarrt wie einen Eindringling. Hirngespinste bloß, was ich von mir zu wissen glaube, Mutmaßungen und Gerüchte. Was ich sehe – nichts als Trugbilder. Irrtum, was ich denke. Was ich bin – Schweigen.
Keine Zeit
Keine Zeit für Spielchen, für Seitenblicke oder Ausnahmen von der Regel. Was zu tun ist, muss getan werden: ohne weitere Verzögerung und ohne Umschweife. Kein Raum für Entscheidungen, die Würfel sind längst gefallen. Konzentration auf das Wesentliche, bloß nicht aus dem Rahmen fallen. Den Dingen ihren Lauf lassen, funktionieren, in der Spur bleiben. Keine Ausreden mehr, keine halben Sachen. Und vor allem kein Zurück.
Nacht
Nacht in deinen Augen, die mich ansehen, als wäre ich längst gestorben. Die dunkle Melodie deines Lächelns, das an mir zweifelt, während es mir Trost spendet. Zärtlichkeit deiner Finger, die nur vorgeben, mich zu berühren, den Unberührbaren. Sicherlich hast du Recht. Wirklich ist an mir nur mein Tod oder vielmehr meine Sterblichkeit. In deiner Nähe drohe ich zu verschwinden.
Abgesang
Abgesang auf die Finsternis im Herzen des hellichten Tages. Berauscht von der eigenen Tatenlosigkeit, dem Zögern, dem vorweggenommenen Scheitern, lausche ich den Klängen der Stille. Das Rauschen der Wolken auf dem Weg in unsichtbare Ferne. Der Flügelschlag einer Schwalbe, die zärtlich meinen Atem in Stücke schneidet. Das Zirpen der Grille, einsam auf einem vertrockneten Grashalm. Mein eigenes Schweigen, das ohne Antwort bleibt.
Licht und Schatten
Licht und Schatten in allem, was uns widerfährt, in allem, was wir tun. Wer in den Spiegel schaut, sieht zwei Gesichter: sein eigenes und das eines Fremden. Unser Leben, das uns so selbstverständlich erscheint, ist nur ein Teil der Wahrheit. Tief verborgen in dem, was wir zu sein glauben, wütet, was uns vernichtet. Wie besessen arbeiten wir an unserem eigenen Ende, während wir uns unsterblich wähnen. Licht und Schatten. Unsere Augen blinzeln im Sonnenlicht, mit den Füßen stecken wir in schwarzer Erde. Sogar in unseren kühnsten Träumen sind wir gefesselt. Wir sind nichts ohne unseren Untergang.
Dichter Nebel
Dichter Nebel, der mich einhüllt wie eine Sprache, die ich nicht verstehe, ein Gewirr von Wörtern, die mir fremd sind, die mir nichts sagen, die mich nicht berühren – aber in mich eindringen. Ein undurchsichtiger Vorhang aus Bedeutungslosigkeiten und Missverständnissen. Eine Wand, die mir den Weg versperrt: zurück in die Welt, zurück in mein eigenes Leben. Eine Mauer, weich wie ein Kissen und unüberwindlich. Je mehr ich mich dagegen wehre, desto enger wird es in meinem Gefängnis. Keine Tür, die nach draußen führt, kein Fenster zum Licht. Keine Aussicht, diesen Ort lebend zu verlassen.
Der verlorene Schlüssel
Der verlorene Schlüssel zu meinen Gedanken – längst begraben unter den stampfenden Schritten der Zeit. Wie ein schwerer Sturm fegt das Vergessen über mich hinweg. Was bleibt von gestern außer dem Lachen der Toten? Was bleibt, wenn ich mich von allem abwende? Kein Wissen, nicht die geringste Ahnung. Den Regentropfen ins Innere der Erde folgen oder den Strahlen der Sonne mitten ins Herz des Universums. Einsamkeit. Kein Weg hinaus. Hier und jetzt bin ich ein Gefangener, eingesperrt in die Welt, die ich erschaffe.