Auf dem Sprung in ein neues Leben – an diesem kürzesten aller Tage. In eine andere Welt: mit geschlossenen Augen durch die Wand aus Zweifel und Zögern. Über die Mauer aus Eitelkeit und Verblendung. Verrückt nach Licht im finsteren Herzen der Nacht, tief unten auf dem Grund meiner Seele. Dort wo ich bin, wird nichts gewesen sein, nichts, an das ich mich klammern könnte. Niemand, der bezeugen kann, was geschehen wird. Meine Entschlossenheit: vielleicht nur ein Anflug von Langeweile.
Kategorie: Nachrichten aus dem Niemandsland
(2011)
Weißes Rauschen
Weißes Rauschen auf meiner Haut: das eisige Flüstern des Windes. Mit dem Kopf voran durch die Nacht, die so undurchdringlich ist wie der traumlose Schlaf meiner Schritte. Ein Stern in meinen Haaren, die Stille fest in meiner Hand. Für einen Augenblick gehört diese trostlose Welt mir, ich habe sie erdacht, sie zu zu meinem Innersten gemacht. Für einen Moment sind wir miteinander verschmolzen, untrennbar – bis ich mich abwende, verschwinde, weil meine Füße den Boden berühren.
Verletzlich
Verletzlich die dünne Haut des menschlichen Lebens, bedroht nicht allein durch den stets nahen Tod, sondern durch das Wissen darum. Wir tanzen mit unserer Vorstellung von dem, was uns auslöscht. Mit unserer Ahnung, dass alles endet. Wenn wir gehen, gehen wir allein, aber mit einer ganzen Welt im Gepäck. Vielleicht ist noch Zeit – doch müssten wir zuerst begreifen, was Zeit überhaupt ist. In allem, was wir tun, ist unser Abschied gegenwärtig: tränenreich und melodramatisch. Wir spüren keinen Schmerz, aber wir tragen ihn mit uns herum.
Zeit nehmen
Zeit nehmen für all das, was auf der Strecke geblieben ist, für all die Pläne und Ideen, aus denen nichts geworden ist, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus Angst vor dem Scheitern. Für all jene Gedanken, die zu unbedeutend sind, um an die Oberfläche zu kommen – oder auch im Gegenteil: die so voll von Bedeutung sind, dass wir sie nicht ertragen könnten. Für alle Dinge, die wir aus unserem Leben verbannt haben, um unbeirrt geradeaus gehen zu können. Zeit für all das, was uns daran erinnert, wer wir niemals sein werden.
Ein allerletzter Stern
Ein allerletzter Stern am erwachenden Himmel. Ferne Sonne, die sterbend den Anbruch eines neuen Tages verkündet, von dem sie nicht weiß und der ihr nichts bedeutet. Ihr Licht durchwandert das Vakuum meines schwarzen Schlafs – auf Zehenspitzen, um die Stille meiner Einsamkeit nicht zu stören. Wenn ich mich auf den Weg mache, ist dieser Stern längst verblasst. Ich folge ihm ins Verschwinden.
Bleibender Eindruck
Bleibender Eindruck oder Liebe auf den ersten Blick – als niemand hingesehen hat. Deine Fußspur auf jedem meiner Gedanken, selbst dann noch, wenn ich nichts denke: du gehst mir nicht aus dem Kopf. Mehr ist aber auch nicht zu sagen, wenn einem die Worte fehlen – wie immer. Nicht zu vergessen, dass alle Erinnerung flüchtig ist, alles Lieben ein Vergehen.
Wenn der Regen fällt
Wenn der Regen fällt, bin ich längst fort. Ich werde dort sein, wo niemand mich vermutet, wo niemand mich kennt. Ich werde sein, wo niemand außer mir ist. Wo nichts ist. Nichts als Wüste und Ödnis. Ich warte nicht darauf, dem Sturm ins Auge zu sehen, der mich aus meinem Leben weht. Ich halte den Atem an, lausche der Welt aus unendlicher Ferne. Das Rauschen der Wälder. Das Knistern der Hochspannungsleitungen. Die erstickten Schreie der Ertrinkenden. Das alles geschieht in mir. Kein Regen. Kein Sturm. Nur das Gewitter der Stille.
Nichts als die Wahrheit
Nichts als die Wahrheit, wie hilflos auch immer das sein mag. Wie fern von der Wirklichkeit, wie abwegig inmitten all der Lügen und Verkommenheiten in mir. Jedes Wort bringt neue Falschheiten hervor, ich betrüge, wenn ich den Mund öffne. Wenn ich schweige. Ich sehe, wenn ich die Augen schließe. Ich sehe nichts, wenn ich in den Spiegel blicke. Nichts als die Wahrheit.
Was schwer ist
Was schwer ist, leicht machen, so leicht, dass selbst die Erinnerung daran kein Gewicht mehr hat. Die schlechten Nachrichten wie gute aussprechen. Die Nacht zum Tag machen – nicht nur in deinen Träumen. Das Kleine mit großen Augen ansehen. Was man sucht, finden: wo man es nie vermutete. Unsagbares aufschreiben, Wort für Wort, bis es uns ganz selbstverständlich über die Lippen kommt. Das Verlorene bewahren, damit die Welt bleibt, was sie ist.
Wenn ich
Wenn ich ein Vöglein wäre, mit Augen so tief wie die Abgründe in meinen Träumen, oder vielleicht ein Schmetterling, mit Flügeln, die bei Sonnenuntergang in allen Farben dieser Welt erglühen – wollte ich dann hoch hinaus? Würde ich aufschauen zu den Sternen oder mich in dunklen Höhlen verkriechen, aus Angst vor der Weite des Himmels? Wäre ich eine Schnecke, ich würde rennen, schnell wie der Wind, bis ans Ende der Welt, ohne zu ahnen, was es bedeutet: zu fallen.