Gegen die Leere ist kein Kraut gewachsen, keine Medizin – nichts kann das Loch stopfen, das ich wie ein Schatten bewohne, verborgen unter gefälschten Erinnerungen. Halb erfroren das Lächeln ewiger Wiederkehr, so vertraut wie die Lockungen der Fremde. Ich harre aus, während der Regen meine Träume fortspült, bis nichts mehr bleibt als jener schwarze Schlaf, der seit einer Ewigkeit meinen Namen buchstabiert. Ich warte ab, einen Fuß auf der Leiter ins Bodenlose.
Kategorie: Nachrichten aus dem Niemandsland
(2011)
Fast unbemerkt
Fast unbemerkt der Untergang eines Sterns an diesem Abend, keine Kameras am Sterbebett, kein voreiliger Nachruf in den Notizbüchern der Allwissenden. Heimlich und still, ein Abschied ohne Schmerz und Tränen. Ein letzter Wunsch, den niemand hört, ein letztes Versprechen, unerfüllt wie all die anderen – dennoch ist nicht der richtige Augenblick, über Verfehlungen nachzudenken. Ein Abschied ohne Bedauern, kein Grund zur Aufregung, in wenigen Minuten ist alles vorbei: die halbe Ewigkeit ausgelöscht wie eine schummrige Funzel. Kein Mitleid. Nur die toten Augen der Nacht.
Kein Weg zu weit
Kein Weg zu weit, keine Last zu schwer, kein Sturz zu tief auf meiner Irrfahrt ans Ende der Welt. Der Sonne ins Herz mit einem Lächeln auf den Lippen, die Augen weit geöffnet. Wie lang schon bin ich unterwegs durch die Nacht und das Schweigen? Ohne Rast seit dem Beginn der Zeit. Niemand, der mir die Richtung weist, kein vorgezeichneter Pfad durchs Dickicht meiner Träume, keine Spur, der ich folge, keine Straßenbahn. Ein Blinder, der erkennt, was er nicht sieht, nur um daran zu verzweifeln. Allein unter Einäugigen. Unnahbar fern der Himmel in mir, kein einziger Stern, kein wachender Engel. Wie weit denn noch? Wie weiter?
Das schlechte Gewissen
Das schlechte Gewissen in einem Briefumschlag, sorgfältig verklebt und adressiert, fast könnte man denken, alles sei in bester Ordnung, aber der schöne Schein trügt, lullt uns ein, macht die Bitterkeit salonfähig. Das ganze Leben findet Platz auf einer Briefmarke, wenn die Welt in Scherben liegt. Voller Wunder die Träume eines namenlosen Gottes zwischen den Zeilen. Geständnisse eines zum Tode Verurteilten, nichts als die halbe Wahrheit. Wer das liest, ist selbst schuldig – keine Gnade für die Mitwisser.
Außer Betrieb
Außer Betrieb oder wenigstens vorübergehend nur mit halber Kraft: die Dampfmaschine meines automatischen Schreibens. Gestern noch aus Fleisch und Blut, heute nur mehr ein Schatten, gänzlich saftlos die Schönheit des Erdachten, die einst entflammte Rede erstickt von lauen Winden, warmen Lüftchen der Notwendigkeit. Wohin all das ungestillte Verlangen? Woher die beleidigende Freundlichkeit der Dinge? Für eine Weile gemütlich eingerichtet auf absteigendem Ast, für unbestimmte Zeit, vielleicht für immer – seit jeher auf verlorenem Posten.
Die Hand eines Engels
Die Hand eines Engels auf meiner Stirn, so federleicht, mit allen Wassern gewaschen, bedeutungsschwanger, spürt sie den nachtschwarzen Träumen meines Fiebers nach. Für einen Augenblick nur verstummen die ruhelosen Geschöpfe des Schlafs, Ausgeburten des Wahnsinns, zum Schweigen verurteilt für die winzige Dauer eines Weltuntergangs. Irgendwann wird mit mir auch diese Hölle verschwinden. Spurlos. Nun liege ich da, vor der Zeit betrauert, wie es scheint, oder doch zu spät, kein Mensch kann das wissen, nicht einmal der Engel, dessen Hand mein Leben anhält.
Der kalte Atem
Der kalte Atem des sterbenden Winters an einem Tag wie diesem, so farblos wie das Lächeln einer Hochspannungsleitung, die sich quer durch die Landschaft quält. Eisblumen auf meiner Haut, die Verkünder weiterer Entsagung. In einem Zimmer ohne Fenster ergebe ich mich der Langeweile, buchstabiere die unzähligen Namen dieses trügerischen Friedens. Blick zur Uhr: das Leben tiefgefroren in den Fängen der Zeit – Speisekammer der Vergänglichkeit.
Ein letzter Gedanke
Ein letzter Gedanke, bevor die Schwere des Schlafs sich über diese Stadt ergießt. Ein letzter Ruf den Sternen entgegen, aller Schwärze der Welt zum Trotz. Mit unerhörter Leichtigkeit tauche ich ein in die Sprachlosigkeit menschenleerer Straßen, taumelnd, tanzend beinahe auf verlassener Bühne. Ein einziges Licht nur, das noch brennt, um der Nacht den Weg zu weisen. Ein Lied aus der Ferne: das Wimmern des Windes – betrunkener Wanderer ohne Gesicht, deine eiligen Schritte verklingen in meiner Brust. In meiner Hand die sterblichen Überreste des Tages: eine letzte Sekunde.
Mit aller Gewalt
Mit aller Gewalt die Schallmauer der Dämmerung durchbrechen, ungebremst, übers Ziel hinausschießen, dem neuen Tag entgegen, unaufhaltsam wie ein Sonnenstrahl. Dem Unbekannten über die Schulter spucken, dem Fremden, das mich fesselt, ins Gesicht und vor die Füße. Mit letzter Kraft den Blick abwenden von allem Künftigen in mir, das ans Tageslicht drängt, sich aus der Umklammerung schnöder Gegenwärtigkeit löst: eine Träne unter der Haut des Spiegels. Ich erkenne mich wieder – unschuldiger Keim meiner Neugier, bis auf weiteres vom Dienst suspendiert.
Wovon träumen wir
Wovon träumen wir, wenn unser Leben selbst zu einem Traum geworden ist – ohne Erwachen. Zu einem Griff nach den Sternen in uns, schwarz und stumm. Zu einer Reise ans Ende der Welt. Wenn all die Tode, die wir sterben mussten, umsonst gewesen sind. All die Momente, die zu Asche wurden im Fegefeuer der Erinnerung. All die Stunden in völliger Finsternis. Die Leere zwischen den Zeilen des niemals Geschriebenen. So schweigsam die Welt. Wovon träumen wir, wenn uns nichts mehr zu träumen bleibt?