Überlebensgroß

Überlebensgroß und in Farbe – soeben dem Schaumbad des Wirklichen entstiegen, umweht von einem Hauch welkender Schönheit: das Ende des Tages. Tatsächlich vergeht nun, was vor einer Ewigkeit begann, unbemerkt oder schon vergessen – im Augenblick der Geburt. Niemand sieht hin, weil es nichts zu sehen gibt. Anders ausgedrückt, zum Sehen braucht es eine ganze Welt hinter den Augen, vom spärlichen Licht, das durch die Ritzen dringt, erleuchtet. Nichts dergleichen. Das Vergehen verkommt zu einem beschaulichen Schwinden, nicht der Rede wert. Einsam auf seinem Hügel: der letzte Betrachter, den trüben Blick in die Leere gerichtet, die geblieben ist – seit jeher, unverändert.

Ausgerechnet jetzt

Ausgerechnet jetzt, als wäre nicht längst schon Zeit gewesen, der Wink mit dem Zaunpfahl. An diesem Tag, in diesem Moment, der eine Ewigkeit der Erwartung in einem einzigen Wort zusammenfasst: Ahnungslosigkeit. Keine Fragen, keine Antworten. Kein unerwünschtes Wissen zwischen den Mahlzeiten. Wir drehen uns im Kreis, so schnell, dass unser Freudestrahlen zur Grimasse verzerrt wird. Wir stolpern über unsere eigenen Füße, beglückt vom Blick in den Abgrund. Die Leichtigkeit unseres Tanzes ist bloß der Taumel vor dem Fall. Und nun geschieht, was zuvor unmöglich schien – wenigstens wollen wir das glauben. Die Wahrheit ist, dass alles immer schon möglich war. In Wirklichkeit geschieht nichts.

Geradeaus in die Irre

Geradeaus in die Irre oder mit dem Kopf durch die Wand einer Seifenblase, auf den Spuren des Sonnenscheins mitten ins Herz des Schattens, den kürzesten Weg wählen – in die Regungslosigkeit. Den Atem anhalten, um darin ein Stück der Welt zu bewahren, in mir verborgen wie ein Schatz oder ein Geschwür, ein Häppchen Wirklichkeit – so unwirklich, dass es glücklich machen könnte. Schwärme von Gewitterfliegen unter meiner Haut, in meinen Augen, in meinem Mund. Geflügelte Worte, deren Bedeutungslosigkeit mich um den Schlaf bringt. Mein Verstand ist dieser Vogel, der aus den Wolken stürzt, um sterbend einen Regentropfen aufzufangen.

Ausverkauf der Farben

Ausverkauf der Farben an diesem Tag, der selbt grau in grau noch immer nett anzusehen wäre. Früh am Morgen schon der Regenbogen, dieses himmlische Tor zu einer Welt mit Schäfchen im Vorgarten und bestickten Tischdecken hinter verschlossener Tür. Nur wer alles aufgibt, kommt hindurch. Wer ohne langen Abschied vergisst, woher er kommt und wohin er will. Wer es wagt, die gedachte Linie des Horizonts zu überspringen. Das erstickende Blau des Himmels, dort, wo es sich von den Bäumen kitzeln lässt. Die schwarzen Schatten der Vögel, achtlos an verschlafene Wolken genagelt – wie ein geheimnisvoller Einkaufszettel. Das rote Blut in den Mundwinkeln des Frühlings, verstummt im Angesicht des Todes.

Fluch oder Segen

Fluch oder Segen – oder vielleicht keines von beiden, bloß die belanglose Gleichgültigkeit tagein und tagaus, das leere Gerede von Sinn und Bedeutung, derselbe Horizont, wohin man auch schaut, der stets gleiche Klang deiner Schritte, wohin du auch gehst, wie weit der Weg auch sein mag, wie nah oder fern dein Ziel. Kein Himmel, der dich verstößt, kein Meer, das dich verschlingt. Blumen auf deinem Grab wie offene Wunden, aber kein Herz, das für dich verblutet.

Stiller Gesang

Stiller Gesang in den Abgründen der Finsternis, kaum ein Flüstern, das zu mir dringt, keine Melodie – nur das seltsame Rauschen eines Traums, der mir von ferne vertraut ist, schließlich aber verblasst. Gesang ist das falsche Wort. Eher ähnelt es einem erstickten Raunen oder vielleicht einem sorgenvollen Seufzen. Es ist so nah, so bedeutungslos, so menschlich. Es ist, als lauerte hinter der nächsten Ecke der Tod oder das Vergessen. Ein in Tränen ertränkter Schrei oder doch nur das zarte Säuseln einer Hochspannungsleitung.

Aus dem Ärmel

Aus dem Ärmel geschüttelt ein paar Zeilen, ohne Hand und Fuß, schließlich drängt die Zeit. Und was, wenn es nun doch einer liest? Wenn einer bemerkt, dass diese letzten Worte des Tages ergaunert statt erkämpft sind? Dass sie nicht mit deinem Blut geschrieben sind, nicht einmal mit Tinte? Doch am Ende kräht kein Hahn danach. Die Wirklichkeit des Schreibens rührt an keine Wahrheit. Kein Wort dringt zum Mittelpunkt der Welt vor, kein Gedanke schwingt sich zum Himmel auf. Nur so erkauft man sich das Schweigen.

Aussichtslos

Aussichtslos der Blick aus dem Fenster auf eine menschenleere Straße voller Geschäftigkeit und Geschwätz. Gefangen im Innern einer Luftblase mit Wänden aus Beton, vertreibe ich mir die Zeit mit dem Einatmen der Leere. Ich gebe mich der Vergänglichkeit hin, die in diesem Augenblick meinen Namen ausradiert. Was macht es für einen Unterschied, von wo aus ich dem Tod auf die Finger schaue? Ob ich singend verblute oder mir den Kopf an einer Wolke stoße? In meinen Tränen spiegelt sich die Weite des Himmels, in meinem Mund vertrocknen die Worte. Die Welt dreht sich in meinen Händen.

Konzert der Frösche

Konzert der Frösche in den Eingeweiden des gestrigen Tages. Vom Frühling blieb nur das zerknüllte Papier eines Kaugummis übrig, die zerrissene Nabelschnur der Stille. Nun ist nichts als Leere zwischen den Zäunen, die meinen kleinen Garten von der Welt abschneiden – ein einfacher Schnupfen genügt, um aus einem Blütenmeer eine Steinwüste zu machen. Längst verstummt ist der Gesang der Vögel. Schwarzes Blut tropft von meinen Grashalmwimpern, alles Leben bloß noch Erinnerung, farblos, verscharrt in einem Erdloch.

Fremdes Blut

Fremdes Blut in meinen Adern – oder zumindest das Blut eines Menschen, der ich nicht bin, nicht sein will. Ein anderes Leben unter meiner Haut, beängstigend und erfrischend zugleich, verstörend und besänftigend wie eine unsichtbare Stimme, die mich in den Schlaf singt. Heilsam und Verderben bringend wie die Dunkelheit, die sich in mein Herz schleicht, um Träume zu gebären. Nacht auf meinen Augen, mein Denken bloß noch ein Rauschen, der niemals endende Schrei eines Sterbenden.