Stunde der Wahrheit auf dem Weg zum Gipfel, strauchelnd dem Absturz näher als der ersehnten Himmelfahrt. Gewissheit des Scheiterns – mit jedem Schritt ein wenig größer. Zweifelnd der Sonne des Nichtwissens entgegen, taumelnd vor Glück, berauscht von der Lüge – aber was ist Wahrheit, wenn nicht der Staub auf all den ungelesenen Büchern, das Geräusch einer Kirschblüte unter meinen Schuhen, das zitternde Wasser einer Pfütze am Straßenrand? Die Schmerzen sind vergessen angesichts der Qualen, die uns drohen, angesichts der Leiden, die wir uns ausmalen, ohne zu wissen, ohne zu ahnen. Angesichts der kleinen Annehmlichkeiten, die uns an die ewige Verdammnis verkaufen.
Die letzten Abenteuer
Die letzten Abenteuer einer Welt, die so klein ist, dass man sich selbst auf die Füße tritt. Vielleicht ein Strohfeuer mit dem Gartenschlauch in der Hand. Ein Blick hinauf zum Himmel voller Sternschnuppen oder einfach nur zu tief ins Glas, randvoll mit dem Wasser des Lebens. Das moralische Gesetz in Blindenschrift auf deinen Lippen oder die Todesstrafe unter deinen Fingernägeln. Früh morgens der Spaziergang an der Leine – ohne Wiederkehr. Das Lachen mit verbundenen Augen und gesenktem Kopf. Der tastende Gang die Treppe hinab – in völliger Dunkelheit und mit angehaltenem Atem. Das Zählen der Sekunden, bevor die undurchdringliche Stille des Schlafs mich ausschaltet.
Im Gleichgewicht
Im Gleichgewicht oder bloß in der Schwebe? Perfekt ausbalanciert im freien Fall aus unendlicher Höhe in unendliche Tiefe. Schwerelos im Niemandsland meiner eigenen Abwesenheit. Das ist nicht die innere Ruhe, es ist ein Kampf ums Überleben. Ein Augenblick der Schwäche stürzt dich in den Abgrund, von dem du zuvor nicht einmal wusstest, dass es ihn gibt. Die geringste Unaufmerksamkeit lässt dich straucheln. Schweigend der Zerbrechlichkeit ins Auge sehen. Ein Wimpernschlag, der die Welt zerteilt.
Frohe Botschaft
Frohe Botschaft aus den Untiefen des Herzens: dieses Leben ist noch nicht am Ende. In manche Winkel meiner schmucklosen Behausung verirrt sich das Sonnenlicht wie der Gesang eines Vogels: tröstlich in seinem unverhofften Glanz, den mir die Schwingen der Vergänglichkeit zutragen. An solchen Tagen öffnen sich die Augen wie Blumen, verschlafene Boten des Frühlings an den Steilhängen der Zeit. An solchen Tagen schließen sich Kreise, Märchen werden wahr: endlose Geschichten der Freude und des Friedens. Noch schlägt dieses Herz – wie ein Hund mit dem Schwanz wedelt.
Ans andere Ufer
Ans andere Ufer, mitten in der Nacht, der Finsternis entgegen. Wortkarg der Fährmann, einem düsteren Traum entstiegen, ganz ohne Gesicht im spärlichen Schein einer flackernden Funzel. Das kalte Wasser umschmeichelt die Dürre meiner Gedanken – was nur will ich dort, auf der anderen Seite? Jetzt. Um diese Zeit. Von einem Schatten lasse ich mich ins Ungewisse führen, dorthin, wo ich mich verliere.
Der geschenkte Tod
Der geschenkte Tod in einer Plastiktüte – wie gerade eben frisch eingekauft im Supermarkt um die Ecke. Nein, es ist nicht einfach diese schicksalhafte Erkrankung, die uns Nacht für Nacht den Schlaf raubt, dieser unabwendbare Unfall, der aus dem prallen Leben ein Häufchen Elend macht, nein, es ist nicht bloß diese zum Himmel schreiende Tragödie mit einem Ahnungslosen in der Hauptrolle. Es ist das Unbegreifliche, das uns in die Hand gedrückt wird wie ein Zollstock, mit dem wir unser Leben vermessen. Dieses Unscheinbare, das wir in der Ecke abstellen, um es für immer zu vergessen. Dieses Unnötige, das wir uns wie ein Schmuckstück um den Hals legen, bevor wir uns zum Sprung entschließen.
Hinter Glas
Hinter Glas die Fremden, die mich mit dem Rücken ansehen, die von mir nichts wissen, nichts ahnen, während ich ihre Schritte zähle oder die Finger an ihren Händen. Ich bin nur zu Besuch, unsichtbar, und doch in ihrer Mitte, ganz selbstverständlich lebe ich mit ihnen, unerkannt, wie unter einer Tarnkappe, anwesend, gegenwärtig – einer von ihnen, solange ich mich nicht zu erkennen gebe. Ihr Blick durchbohrt mich, ihre Hände greifen ins Leere. Da ist nichts, was uns verbindet. Ich atme eine andere Luft, bewege mich in einer anderen Zeit, ich versinke in anderen Schlaf. In meinen Träumen gebe ich mir einen Namen.
Rache ist süß
Rache ist süß, wenn mit dem neuen Morgen ein anderes Leben beginnt, ein Leben ohne Angst, ohne den Nebel des Misstrauens. Wer verbirgt sich hinter deiner Maske? Wer steckt in deiner Haut? Wer weint hinter deinem Lachen? Es ist nicht einmal die Wut, die mich umtreibt, nicht der Hass. Wer weiß, am Ende ist es das Vergessen. Was immer auch geschieht, verschwindet in den Abwässern menschlicher Fehlbarkeit. Da ist nichts, wofür zu sterben sich lohnte. Die schwarze Flamme deiner Augen, erloschen unter nächtlichem Himmel.
Stille Abendstunde
Stille Abendstunde vor meinem Fenster, das Leben da draußen, so schweigsam, schläfrig fast – es ist nicht mein Leben, nicht meine Welt, die ich hinter Glas betrachte, aber es ist mein Schlaf. Ich verschwende meine Zeit, während ich darauf warte, endlich aufzuwachen. Mein Blick aus dem Fenster, ins Schwinden des Tages hinein, lautlos, auf Zehenspitzen, als würde irgendwer sich für das interessieren, was übrigbleibt. Es bleibt nichts übrig von dieser Welt, die lustlos ihre Spuren verwischt.
Tanz der Schatten
Tanz der Schatten in völliger Finsternis. Was ich sehe, ist die Abwesenheit des Sichtbaren, so überflüssig all die Bewegungen, von denen vielleicht noch ein Fußabdruck in der Zeit bleibt. Es ist die Sonne in deinen Augen, die nach Schlaf ruft, nach ewiger Ruhe mitten im Sturm. Es ist das Lächeln auf deiner Stirn, den Wolken so nah, der Unnachgiebigkeit eines menschenleeren Himmels. Es sind deine Füße, die mich an die Wahrheit des Tanzes glauben lassen – eine Wahrheit, die mich mit Füßen tritt. Die Schatten in deinem Herzen, jener unsichtbaren Flamme entsprungen: kälter als das einzige Wort, das deine Lippen öffnet – für immer dem Irrtum verschrieben.