Durchgekaut

Durchgekaut von den Ereignissen des Tages, von all den Nichtigkeiten, die sich zu keinem Ganzen fügen wollen, zerbissen von den eigenen Gewohnheiten, den Launen und Lüsten, halb verdaut und wieder ausgespuckt – der eigenen Menschlichkeit vor die Füße. Wie ein Betrunkener hocke ich im Erbrochenen meiner Worte. Jeder Versuch, wieder auf die Beine zu kommen, bestärkt mich bloß in meiner Lächerlichkeit: das unerträgliche Glück des Scheiterns. Gestern noch ein Stern in der weiten Hosentasche des Himmels, heute bloß noch das Kleingedruckte auf der Rückseite einer Versicherungspolice. Aus traumlosem Schlaf bin ich geboren, so nah den Göttern, prachtvoll, am Boden zerstört.

Am Abgrund

Am Abgrund dieses unbedeutenden Tages, der wie jeder andere ist: hoffnungslos unwiderlegbar, in die Stille gemeißelt wie der Schrei eines sterbenden Vogels, fast schon vergessen – haltlos blicke ich in die Tiefe meiner eigenen Vergänglichkeit, einem Stein gleich, der sich nach tausenden von Jahren entschieden hat, einen Namen zu tragen: Morgen. Wenn ich die Augen schließe, kann ich das Rauschen der Zeit hören, das Geplapper all jener Abenteuer, die ungeboren meinen Kopf bevölkern. Eine Ewigkeit ist es her, dass ich fliegen konnte. Ich erinnere mich, spüre das Gewicht meiner Flügel, die Schwere, die mich in den Himmel stürzen lässt.

Kein Erwachen

Kein Erwachen aus dieser Wirklichkeit. Man öffnet nicht einfach die Augen und beginnt von vorn oder macht da weiter, wo es nicht wehtut. Dieses Leben ist nicht verhandelbar – unumstößlich, was geschehen ist, unbeirrbar, was daraus folgt. Man wendet sich nicht ab, ohne daran zugrunde zu gehen, das ist gewiss. Niemand tritt einen Schritt zur Seite, springt über seinen eigenen Schatten. Kein noch so fester Wille hält die Uhr an: diese Uhr ohne Zeiger. Vielleicht klingelt irgendwo ein Telefon – Ruf aus erlösender Ferne, unerhört. Dieses Zimmer ist seit einer Ewigkeit nicht mehr bewohnt. Am anderen Ende der Leitung: eine Warteschleife.

Keine Angst

Keine Angst, nichts ist, wie es scheint, die Sonne regnet, die Kälte wärmt, die Stille erzählt dir Geschichten – in einer fremden Sprache. Keine Angst im Augenblick des Erwachens. Du weißt, dass du lebendig begraben bist, ein unbekanntes Wort in einem verschlossenen Mund, grundlos zum Schweigen verurteilt, unschuldig. In Gedanken bist du bei mir. Nichts, denkst du, kann uns trennen. Wir sind uns nah. Wir sind eins. Du weißt, dass es gelogen ist. Keine Angst, selbst diese Lüge ist an den Haaren herbeigezogen.

Ein Hauch von Müdigkeit

Ein Hauch von Müdigkeit über der Landschaft, als würde das Leben selbst sich nach Ruhe sehnen. Schlaf in den Zweigen der Bäume, Liebesgeflüster am Wegesrand, die Schwere der Schatten am Ende eines langen Tages. Von ferne das Geschrei einer Elster, ein Flugzeug am Himmel, ich weiß nicht, steigt es auf oder sinkt es, auf dem Weg in die Nacht wie eine tödliche Kugel.

Der Weg hinab

Der Weg hinab ins Innere einer längst vergangenen Zeit, hinunter in die Eingeweide der Erde. Ich folge den Zeichen, ahnungslos, ein Blinder auf Schatzsuche. Um mich her die versteinerten Gesichter meiner Ahnen. Kaum genügend Luft für einen einzigen Atemzug. Gedanken wie ein unterirdischer Fluss – ich lasse mich treiben, vertraue mich der sanften Strömung an, die mich ans Ende der Welt trägt, ans Ende meiner Welt. In der Ferne, unsichtbar, schließt sich die letzte Tür, die letzte Kerze verlöscht, während ich dem klagenden Gesang einer Amsel lausche. So friedlich die Stille auf meiner Zunge, schwarz und kalt, wie das restliche Sonnenlicht aus meinen Adern entweicht.

Aus dem Fenster

Aus dem Fenster der Blick, ohne Halt, ohne Ruhe, rastlos auf der Suche nach einem Weg, der zurückführt ins Innere der Welt, zurück in mein erträumtes Leben. Wie ein Fremder starre ich durch mich hindurch, abwesend, gedankenlos. Der leere Blick in meine Abwesenheit. Wie ein Toter. Wohin mit all der Leere? Wohin mit all dem, das nicht ist? Das nicht einmal gedacht werden kann? Hinter einem Fenster, in einem Haus auf der anderen Straßenseite: ein Schatten. Kein Gesicht, keine Augen, keine Hände. Nur dieser graue Fleck. Nichts Menschliches. Kein Mensch, der mich beobachtet, der mich durchschaut. Nur dieses Fenster.

Ohne zu zögern

Ohne zu zögern ins Dunkel des Schlafs, die Augen weit geöffnet, in den Abgrund des Traums. Nein, ich träume nicht mehr. Seit Jahren schon schlafe ich nicht. Ich weiß nicht, was das ist: der Schlaf. Ich umarme die Dunkelheit, nichts weiter, warte auf das Ende der Nacht, das Ende dieser traumlosen Erinnerung an nichts. Ohne zu zögern ins Vergessen. Ich warte nicht, ich zähle die Stunden. Nicht einmal das. Ich wohne der Vergänglichkeit bei. Finsternis.

Gegen jede Vernunft

Gegen jede Vernunft folge ich dir. Wie ein Schatten bin ich dir auf den Fersen – du entkommst mir nicht. Mein Herz hängt sabbernd an deinen Lippen. Wie ein Sterbender berausche ich mich an allem, was du sagst oder nicht. Wie ein Idiot. Dein Räuspern noch ist mir heilig. Dein zur Gleichgültigkeit verschlossener Mund. Du bemerkst mich nicht einmal, siehst über mich hinweg, wenn ich vor dir knie. Wir könnten verschiedener nicht sein, selbst wenn wir in dieselben Fußstapfen treten.

Zum Abschied

Zum Abschied dieses Schweigen, dein Gesang ohne Worte, in einer Sprache, die so fremd ist wie das Land, in das sie führt. Wir begegnen uns in der Sprachlosigkeit, jedoch nur für einen flüchtigen Augenblick. Deine Lippen aus Stille. Wenn du meinen Namen sagst, klingt das wie ein zufälliges Geräusch irgendwo in einem endlosen Raum – fast unbemerkt. Und doch füllt es diesen Raum aus, diese Endlosigkeit. Mein Name ist dieser Wassertropfen, der in eine Pfütze eintaucht, in diesen Ozean des Schweigens. Wenn du fortgehst, nimmst du meinen Namen mit dir.