Am Wegesrand all die verlorenen Freunde, all die Vergessenen, Toten, die mir lächelnd nachsehen – ganz ohne Nachsicht. Die mir die Pest an den Hals wünschen oder gleichgültig meinen Namen murmeln. Die sich wundern, warum ich nicht aufgebe, warum ich diesen Weg noch gehe – ohne ein Ziel vor Augen. Diesen Weg, der mich immer weiter von mir fortführt. Durch gespenstische Nacht wanke ich, setze einen Fuß vor den anderen, als müsste ich das Gehen neu erlernen. Ich wage nicht, mich umzudrehen, in dieses Nichts zu blicken, aus dem ich komme. Vor mir die schwarze Wand meiner Ängste und Hoffnungen – Aussichtslosigkeit meiner Flucht.
Schlagwort: Nacht
In Windeseile
In Windeseile um die ganze Welt: die Nachricht von deinem Verschwinden. Fluchtartig hast du diese Welt verlassen, still und heimlich wie ein Dieb. Ein verblassender Stern in der endlosen Weite der Nacht. Ohne ein Wort des Abschieds und der Hoffnung. Wo in dieser Dunkelheit bist du? Welche Unerreichbarkeit ist nun dein Zuhause? Welche unaussprechliche Ferne ziehst du dem Hier und Jetzt vor? Das Echo deiner Stimme wie eine Träne, die ins Meer fällt. Schwarzer Ozean des Vergessens, unbewegt wie ein blinder Spiegel. Ein Ertrinkender auf der anderen Seite – ein Ruf, der keine Spuren hinterlässt.
In der Nacht
In der Nacht kehrt die Angst zurück, wie eine Katze, die ums Haus schleicht: heimlich und unerwünscht. Ein Besucher, den man widerwillig zur Tür hinein bittet, weil man ihn flüchtig zu kennen glaubt. Es ist immer so. Tag für Tag drehen wir uns im Kreis. Nacht für Nacht. Die Angst vor den Sternen, die auf unserem Dach strandeten. Die Angst vor dem richtigen Wort zur richtigen Zeit. Die Angst vor der Dunkelheit in den Augen, die uns ansehen, wenn wir allein sind.
Ein letzter Atemzug
Ein letzter Atemzug, bevor dieser Tag sich aus dem Staub macht, ohne Glanz und Fanfaren, klammheimlich wie ein räudiger Hund. Ein letzter Blick, nach langem Regen, zum wolkenlosen Himmel. Zeit für einen Wink mit dem Zaunpfahl. Wie ich mich auch drehe und wende, der eisige Hauch bügelt mir die zerknirschte Denkerstirn glatt. Wie Fähnchen im Wind meine Worte aus versteinertem Mund während schweigend und würdevoll die Nacht aus ihrem Kokon kriecht.
Fast unbemerkt
Fast unbemerkt der Untergang eines Sterns an diesem Abend, keine Kameras am Sterbebett, kein voreiliger Nachruf in den Notizbüchern der Allwissenden. Heimlich und still, ein Abschied ohne Schmerz und Tränen. Ein letzter Wunsch, den niemand hört, ein letztes Versprechen, unerfüllt wie all die anderen – dennoch ist nicht der richtige Augenblick, über Verfehlungen nachzudenken. Ein Abschied ohne Bedauern, kein Grund zur Aufregung, in wenigen Minuten ist alles vorbei: die halbe Ewigkeit ausgelöscht wie eine schummrige Funzel. Kein Mitleid. Nur die toten Augen der Nacht.
Ein letzter Gedanke
Ein letzter Gedanke, bevor die Schwere des Schlafs sich über diese Stadt ergießt. Ein letzter Ruf den Sternen entgegen, aller Schwärze der Welt zum Trotz. Mit unerhörter Leichtigkeit tauche ich ein in die Sprachlosigkeit menschenleerer Straßen, taumelnd, tanzend beinahe auf verlassener Bühne. Ein einziges Licht nur, das noch brennt, um der Nacht den Weg zu weisen. Ein Lied aus der Ferne: das Wimmern des Windes – betrunkener Wanderer ohne Gesicht, deine eiligen Schritte verklingen in meiner Brust. In meiner Hand die sterblichen Überreste des Tages: eine letzte Sekunde.
Wie ein Vogel
Wie ein Vogel in den Untiefen des Schlafs versinkt, lautlos singend, zum Sterben geschmückt, so verliere ich mich an die Stille. Meine Träume an Wolken gefesselt, meine Worte mit Nacht getränkt. Seit einer Ewigkeit schon auf der Flucht. Ich laufe davon, ohne mich umzudrehen, ohne zu wissen, wer oder was mich verfolgt. Ohne Ziel, ohne Richtung. Ich renne, aber ohne mich von der Stelle zu bewegen. Meine Schritte sind wie Sternschnuppen, stolpernd küsse ich den Boden, stürze, setze zum großen Sprung an in die schwarzen Klauen der Bewusstlosigkeit.
Ein Hauch von Müdigkeit
Ein Hauch von Müdigkeit über der Landschaft, als würde das Leben selbst sich nach Ruhe sehnen. Schlaf in den Zweigen der Bäume, Liebesgeflüster am Wegesrand, die Schwere der Schatten am Ende eines langen Tages. Von ferne das Geschrei einer Elster, ein Flugzeug am Himmel, ich weiß nicht, steigt es auf oder sinkt es, auf dem Weg in die Nacht wie eine tödliche Kugel.
Ohne zu zögern
Ohne zu zögern ins Dunkel des Schlafs, die Augen weit geöffnet, in den Abgrund des Traums. Nein, ich träume nicht mehr. Seit Jahren schon schlafe ich nicht. Ich weiß nicht, was das ist: der Schlaf. Ich umarme die Dunkelheit, nichts weiter, warte auf das Ende der Nacht, das Ende dieser traumlosen Erinnerung an nichts. Ohne zu zögern ins Vergessen. Ich warte nicht, ich zähle die Stunden. Nicht einmal das. Ich wohne der Vergänglichkeit bei. Finsternis.
Aus der Ferne
Aus der Ferne das Flüstern einer Wolke: es ist schon spät – ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstehe, es ist vielleicht schon zu spät – dazwischen liegen Welten, nichts ahnend, unschuldig. Obwohl die Nacht erst beginnt, ist sie fast schon wieder vorbei. In meiner Vorstellung klingt das nicht wie ein Widerspruch – es ist anders gar nicht denkbar. Im Halbschlaf erzähle ich von meinen Heldentaten. Es ist der Übergang von Tag und Nacht, Nacht und Tag, der mein Denken anstößt. Diese Wolke in der Ferne, das Flüstern. Es ist mein Denken, das spät dran ist, zu spät, auf dem Weg durch die Welt – zu mir.