Klein anfangen, um groß zu enden, besser noch: um niemals zu enden. Wenn es geht, soll es weitergehen. Selbst wenn wir unser Ziel erreicht haben, soll der Weg noch nicht zu Ende sein. Wir hören nicht auf, auch wenn alles schon vorbei ist. Besser ist es, wir fangen gar nicht erst an. Zumindest wollen wir nichts davon wissen, denn jedem Anfang ist das Ende bereits in die Wiege gelegt. Nichts beginnen, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.
Schlagwort: Tod
Ein leeres Glas
Ein leeres Glas in meiner Hand – so friedlich, diesen Tod zu sterben, einsam und verkommen. Auf der untersten Stufe einer Treppe in die Unterwelt. Aus der Welt gefallen, vollkommen menschlich, von allen guten Geistern verlassen. Keine Rückkehr in dem, was ich tue, kein Erinnern, kein Erwachen. Keine Wahrheit in dem, was ich verschweige. Keine Wunden mehr, seit ich zu sprechen verlernt habe. Der letzte Schluck wie ein Sturz aus dem Fenster. Grundlos. Bodenlos.
Die Wunde bleibt
Die Wunde bleibt, selbst wenn wir längst verschwunden sind. Die Freundschaft ist eine unendliche Geschichte der Kränkungen. Wir sind uns am nächsten, wo wir uns verletzen. Vielleicht ist, was wir Liebe nennen, nur Verachtung. Sterbend erst verstehen wir uns, wir wissen vom anderen im Augenblick des Abschieds. Jeder Kuss, jeder Blick – eine Ahnung des Todes. Es ist der Schmerz, der uns öffnet, das Wissen um unsere Vergänglichkeit. Nur ein winziger Augenblick der Erkenntnis, ein kurzes Aufflackern unserer Menschlichkeit, dort, wo wir uns verlieren, unberührbar und fremd.
Zur falschen Zeit
Zur falschen Zeit an dem einzigen Ort der Welt, der das Unmögliche wirklich werden lässt. In diesem winzigen Moment, der den Himmel zerknüllt wie ein bedeutungsloses Stück Papier. Als ob das letzte Wort, das noch zu sagen wäre, auf der Zunge explodierte. Ein verheerender Sturm in der hohlen Hand Gottes, zur Faust geballt im Augenblick des Todes, kraftlos zitternd, eine Wolke, die ihr Leben aushaucht. Dieser Schrei, der für die Dauer eines Wimpernschlags alles Dunkel in Feuer taucht und alles Licht in kalte Schwärze. Ein unscheinbares Lächeln, das ohne Vorwarnung den Strom meiner Tränen austrocknet.
Jung sein
Jung sein oder wenigstens unsterblich, dem Tod ins Gesicht spucken, verrückt nach Leben oder einfach nur glücklich. Das kalte Herz aus der Versenkung heben, die Wurzeln durchtrennen, vielleicht um einen einzigen Schritt zu gehen – aus dem eigenen Schatten heraus. Nach dem Licht greifen wie nach einer rettenden Hand, blind vor Wut und Trauer, hungrig. Schreiend die Sonne verschlucken, um eine Stadt aus Feuer zu gebären.
Ein Finger
Ein Finger, aufbewahrt in einem dunklen Raum, jenseits des Lichts und der Zeit, unvergänglich wie eine Botschaft, die den Tod überdauert, seit Ewigkeiten unberührt, umso mächtiger, je unbedeutender sie scheint. Körperlos. Der letzte Hinweis auf die Lösung des Rätsels, Antwort auf diese eine Frage, welche noch gar nicht gestellt wurde. Zeichen einer Wahrheit, für die in unserer Welt kein Platz ist, in unserer Welt unzähliger Sprachen, Schriften und Missverständnisse.
Durch die Wüste
Durch die Wüste meiner Traurigkeit ans andere Ende der Welt. Auf Zehenspitzen, bis zum Hals im Sand. Die Glut der Sonne in meinem Kopf wie ein Lächeln des Todes. Sand in meinen Augen, in meinem Mund. Die unerbittliche Dürre meiner Worte, ungesagt, das Vergessen so trostlos wie der Geschmack der Wahrheit auf meiner trockenen Zunge. Der Himmel – ein Abgrund, der fortwährend meinen Namen ruft. Ich kenne mich selbst nicht mehr, verschollen im Niemandsland der Schwermut.
In den Augen der Maschine
In den Augen der Maschine bin ich nur ein kleines Rädchen, das funktioniert oder nicht, ein kleiner Hebel, der im Ablauf des Ganzen seine Aufgabe hat. Versage ich, blockiere ich das gesamte System, bis ich ersetzt werde. Wie jedes andere Teil bin ich austauschbar. Was zählt, ist die absolute Zuverlässigkeit, tagaus und tagein. Niemand fragt nach meinem Glück, das es außerhalb des großen Werkes nicht geben kann. Niemand kümmert sich um mein Wohlbefinden, solange ich das Zusammenspiel nicht gefährde. Ich tue, wozu ich bestimmt bin. Ich frage weder nach einem Grund noch nach einem Zweck. Von einer Ursache will ich nichts wissen. Das Ziel liegt in mir, in der Gegenwärtigkeit, mit der ich den mir zugewiesenen Platz ausfülle. Ich habe nichts zu befürchten. Die Zeit vergeht im Flug, ohne mich zu berühren. Mein Leben ist eine Wolke, die den Tod in Watte packt.
Zum Trost
Zum Trost ein paar Worte, die nichts sagen – als würde man jemanden umarmen, der nicht da ist. Ohne Sinn und Bedeutung, um sicher zu sein, dass jeder es versteht. Leise, fast geflüstert, kaum dass ein Laut über die Lippen kommt – um bloß nicht die Toten aufzustören. Die Abwesenden, Verschwundenen, deren Lachen bloß noch als Schmerz gegenwärtig ist. Deren Fröhlichkeit im Blut einer untergehenden Sonne ertränkt wurde. Die Verlorenen auf ihrer Flucht vor dem sinkenden Stern, der alle Hoffnung in Brand setzt. Worte, die nichts und niemanden erreichen, kraftlos, an der Schwelle zu Stille.
Kennst du das Land
Kennst du das Land, wo du gestorben bist? Wo die Sonne aufgeht, als sei alles bloß ein Kinderspiel, wo früh am Morgen Nebel durch die verschlafenen Straßen der Stadt zieht wie das Lied eines Betrunkenen. Vögel auf den Dächern der Häuser, gefangen im Traum von schwereloser Ferne. Wo es bei Einbruch der Nacht Licht aus halb geöffneten Fenstern regnet. Worte, Musik einer unbewohnbaren Welt. Man sieht dem Tod nicht in die Augen, ohne zu erblinden. Und man steigt nicht ins Wasser, um an der Oberfläche zu bleiben. Ich tauche ein in den Gesang der Vergänglichkeit, hier, wo die Zeit stillsteht.