Mit gespaltener Zunge

Mit gespaltener Zunge ans Eingemachte, der Wahrheit an den Kragen – ohne Rücksicht auf Verluste. Aber was ist Wahrheit, wenn man im Traum nicht daran denkt, den Kopf in die Wolken zu stecken, hübsch geschmückt mit all den Fragezeichen, welche die Spreu vom Weizen trennen. Schweigen im Walde oder auch: der kleine Tod für zwischendurch. Regungslosigkeit zwischen den Zeilen. Nichts ist zu sagen – und dies mit Nachdruck. Kein Fenster dieser Welt, das sich zur Hoffnung öffnet. Keine Lüge, die das Blau des Himmels auf dem Schwarzmarkt verhökert.

Stiller Gesang

Stiller Gesang in den Abgründen der Finsternis, kaum ein Flüstern, das zu mir dringt, keine Melodie – nur das seltsame Rauschen eines Traums, der mir von ferne vertraut ist, schließlich aber verblasst. Gesang ist das falsche Wort. Eher ähnelt es einem erstickten Raunen oder vielleicht einem sorgenvollen Seufzen. Es ist so nah, so bedeutungslos, so menschlich. Es ist, als lauerte hinter der nächsten Ecke der Tod oder das Vergessen. Ein in Tränen ertränkter Schrei oder doch nur das zarte Säuseln einer Hochspannungsleitung.

Aussichtslos

Aussichtslos der Blick aus dem Fenster auf eine menschenleere Straße voller Geschäftigkeit und Geschwätz. Gefangen im Innern einer Luftblase mit Wänden aus Beton, vertreibe ich mir die Zeit mit dem Einatmen der Leere. Ich gebe mich der Vergänglichkeit hin, die in diesem Augenblick meinen Namen ausradiert. Was macht es für einen Unterschied, von wo aus ich dem Tod auf die Finger schaue? Ob ich singend verblute oder mir den Kopf an einer Wolke stoße? In meinen Tränen spiegelt sich die Weite des Himmels, in meinem Mund vertrocknen die Worte. Die Welt dreht sich in meinen Händen.

Dunkler Stein

Dunkler Stein in meiner Hand, das Herz eines Vogels, der noch immer klagend die Welt umkreist, ein schwarzes Loch in seiner Brust, in welchem alle Hoffnung verschwindet, alle Freude, alles Lachen. Seltsamer Glücksbringer. Die Tage verschläft er in einer Schublade meines Schreibtisches, aus dem er sich nachts erhebt wie ein Stern, der den Himmel durchlöchert. Eine neue Welt in eisiger Ferne, bevölkert von den Träumen der Verstorbenen, mit denen sich die Straße vor meinem Fenster füllt. Auf welcher Seite des Spiegels wütet der Tod? Welchen Weg wählt die verlorene Zeit meiner Einsamkeit? Keine Erinerung, die nicht aus einer grauen Wolkenschar gestiegen wäre, kein Zögern, kein Versäumen ohne die Wegweiser der Schuld. Zärtlichkeit des Vergessens, die nackte Ahnungslosigkeit meines Schweigens.

Der geschenkte Tod

Der geschenkte Tod in einer Plastiktüte – wie gerade eben frisch eingekauft im Supermarkt um die Ecke. Nein, es ist nicht einfach diese schicksalhafte Erkrankung, die uns Nacht für Nacht den Schlaf raubt, dieser unabwendbare Unfall, der aus dem prallen Leben ein Häufchen Elend macht, nein, es ist nicht bloß diese zum Himmel schreiende Tragödie mit einem Ahnungslosen in der Hauptrolle. Es ist das Unbegreifliche, das uns in die Hand gedrückt wird wie ein Zollstock, mit dem wir unser Leben vermessen. Dieses Unscheinbare, das wir in der Ecke abstellen, um es für immer zu vergessen. Dieses Unnötige, das wir uns wie ein Schmuckstück um den Hals legen, bevor wir uns zum Sprung entschließen.

Falsches Blut

Falsches Blut in meinen Adern wie ein schleichendes Gift, das sich als Lebenselixier ausgibt. Feiger Verrat, der meinen Körper von innen auffrisst, anstatt die Löcher zu stopfen, all die ungezählten Wunden zu heilen. Nun spüre ich, wie eine Vorahnung des Todes sich in mir ausbreitet, unaufhaltsam, gnadenlos. Ich bin der lebende Beweis für meine Sterblichkeit – als hätte ich das nicht schon immer geahnt. Nun aber ist die Sache ernst, denn mit jedem Herzschlag meißelt sich die Erkenntnis tiefer in mein erzitterndes Fleisch: mein Körper ist diese Krankheit zum Tode.

Auf Augenhöhe

Auf Augenhöhe mit den Qualen der anderen. Und doch sieht man nicht hin. Man erträgt den Anblick nicht. Es ist, als erblickten wir im fremden Leiden den eigenen Tod. Das macht uns zu Mitleidenden, die sich abwenden. Im Grunde macht es uns zu Sterbenden. Wir sehen im Schmerz, den wir nicht einmal selbst spüren, einen Vorboten unseres Todes. Mag sein. dass wir bereits gestorben sind, bevor das Leiden in unsere Welt einbrach.

In der Tiefe

In der Tiefe, auf dem Grund des Meeres, die Begegnung mit einem Toten. Seit einer Ewigkeit haust er hier, fast könnte man sagen: er lebt – aus Angst vor gefräßigen Fischen versteckt er sich in einem alten Schiffswrack, immer auf der Hut, immer wachsam. Und doch ist sein Anblick ein abstoßendes Bild der Verwesung. Begegnung mit einer Leiche, die kaum noch menschliche Züge besitzt, allenfalls Erinnerungen, Andeutungen eines gewöhnlichen Lebens, das mir auf Anhieb vertraut erscheint – als wäre es mein eigenes.

Meine Rückkehr von den Sternen

Meine Rückkehr von den Sternen in eine Welt, die mir fremd geworden ist, seit ich sie verließ. Es kommt mir vor, als wäre ich nur wenige Tage fort gewesen, in Wahrheit ist es ein ganzes Menschenleben. Nichts ist mehr, wie es war, nichts, wie ich es kannte, selbst die Sonne glüht nun in einer anderen Farbe oder vielmehr: in einer anderen Tonart. Menschen sehen mich an wie ein Relikt aus längst verblassten Träumen, sehen durch mich hindurch wie durch eine Erinnerung, die ihnen im nächsten Moment entgleitet. Wir sprechen keine gemeinsame Sprache mehr, mein Flüstern wird in euren Ohren zu Geschrei, mein Rufen verhallt ungehört – fast wie im luftleeren Raum. Vielleicht bin ich gestorben, irgendwann, auf meiner Reise durch die Dunkelheit. Meine Rückkehr: bloß der letzte Gedanke einer Leiche im Exil.

Aus den Sümpfen

Aus den Sümpfen erhebt sich die Stimme eines Brachvogels, während trübes Licht wie ein Schleier zu Boden sinkt, schwerelos, die Dämmerung der Götter zwischen Tür und Angel, wie ein aufgeschnappter Blick, der in uns zerbricht – ins Sterben hinein geboren, ohne vom Tod zu wissen. Lieder ohne Worte wie dieses verblasste Bild aus einer Vergangenheit, die seit jeher nicht zu uns spricht, nichts sagend, ein fliehendes Rätsel, verstohlener Kuss. Im Halbschlaf hierher verirrt, diese unmögliche Welt. Strauchelnde Schritte durchs hohe Gras, die grundlose Einsamkeit des Heimkehrers, dem Läuten der Glocken hörig – lauwarmes Blut, das vom Himmel tropft.