Begeisterung, so nah an der Idiotie, dass es kaum auszuhalten ist. Jubel, der wie brüllende Wut klingt, als gelte es, die Nüchternheit des Wirklichen in Grund und Boden zu schreien. Keine Gesichter in der Menge. Menschen, namenlos wie die Steine einer Mauer, der Sprache beraubt auf dem Gipfelpunkt ihrer Freude. Ausgelassenheit, die dem Mangel entspringt, der von Hass erfüllten Sehnsucht nach Fülle. Verachtung im Gewand eines unschuldigen Glücks.
Kategorie: Nachrichten aus dem Niemandsland
(2011)
Ohne Ergebnis
Ohne Ergebnis. Die Verhandlungen mit Gott sind gescheitert. Es gibt keinen Pakt, kein Abkommen, keinen Vertrag, auf den man sich berufen könnte. Die Zeit der Opfer ist vorbei, ab sofort ist die Wahrheit eine Frage des guten Geschmacks oder schlechter Manieren. Kein Mensch, dessen Tod geschrieben stünde, kein Leben, das auf allen vieren kriechend erschlichen wäre. Der Sturm aufs Paradies ist verschoben. Keine Verdienste mehr. Keine Schuld. Keine Gebete und keine Plagen. Gott selbst ist nun frei – endlich schlafen oder wenigstens des Blick abwenden. Das Jüngste Gericht: vertagt.
Weit entfernt
Weit entfernt von aller Tragik, von allem Schicksal, das die Menschen in die Nähe des Göttlichen rückt. Mit beiden Beinen auf dem Boden, dem Irdischen verhaftet, mit Gräsern auf Augenhöhe, nicht mit den Wipfeln der Bäume. Alle Tränen getrocknet, alles Blut, schwarz wie die verkohlte Sonne in meiner hohlen Hand. Alle Freuden ausgekostet, alle Feuer erloschen. Mit winzigen Schritten um die Welt, die so sehr geschrumpft ist, dass sie in meine Hosentasche passt. Himmel ist bloß noch ein Wort mit schalem Nachgeschmack. Man spuckt es aus und kaut weiter.
Über die Brücke gehen
Über die Brücke gehen – wie ein zum Tode Verurteilter, die Augen in der Leere des Himmels versunken, mit kleinen Schritten, nur keine Eile, die Gedanken längst im Exil, irgendwo hinter dem Horizont. Kein Wort kommt über meine Lippen, weder Wahrheit noch Lüge, nichts dazwischen: einfach nur verstummt – und das seit meiner Geburt. Keine Fragen mehr, keine Antworten, nur die Geschwätzigkeit eines nichts sagenden Augenblicks. Ein verstohlener Blick zurück – wozu? Undurchdringlich, was vor mir liegt, wie eine Wand, eine Mauer aus Vergessenem. Diese Brücke nimmt kein Ende, der Weg zum Schafott, und doch ist das Urteil längst vollstreckt.
Sperrgut
Sperrgut – all die Träume, hübsch verpackt in glitzernde Folie oder buntes Papier, all die Hoffnungen, manchmal fast zum Greifen nah und doch aus einer anderen Welt. All die verlorenen Augenblicke, weit zurück oder sogar jetzt – in einem anderen Leben. Dieses einmalige Lachen, das mir nicht aus dem Kopf geht, obwohl es längst verklungen ist. Deine Schritte, deren endloses Echo nun mein Herzschlag ist. All diese Erinnerungen, die uns anhängen wie ein übler Geruch. Letztlich sind wir, was wir mit uns herumtragen. Und selbst wenn wir zum Himmel aufschauen, gehen wir noch gebückt.
Grund zur Freude
Grund zur Freude oder doch nur das unwiderstehliche Lächeln ins Gesicht gemeißelt? Ein gut gelaunter Abgang in die Belanglosigkeit, Müllhalde der Vernunft. Stimmen im Dunkel, die mir zuflüstern, was hätte sein können – oder auch: was irgendwann einmal gewesen sein wird, dann, wenn nichts mehr ist. Dorthin zurückkehren, woher wir kamen: in die kalten Tiefen der Ozeane, ins brennende Licht – ins Schweigen. Geduld zahlt sich aus – für wen?
Mit der Wand durch den Kopf
Mit der Wand durch den Kopf, wenn nichts mehr geht oder nichts mehr von Bedeutung ist. Am Ende nichts als Schweigen im Walde, das Exil der Stille, dem schnöden Tageslicht verborgen. Nichts als stumme Blicke, die von den Dingen abperlen, dem Wirklichen fremd wie das Geräusch einer fallenden Feder auf befahrener Straße, mitten in der Stadt vielleicht – oder einfach nur in meiner Vorstellung. Seltsam, wie alles sich mir zuwendet, als würden der Leere Ohren wachsen, nur um meinen zaghaften Schritten zu lauschen, meinem stockenden Atem – meiner Sprachlosigkeit.
Sternenhimmel
Sternenhimmel über mir, schlicht und ergreifend. Eine Welt irgendwo da draußen, unnahbare Schönheit, noch nicht zum Leben erwacht, während ich – hier unten – mit meiner Müdigkeit ringe, dem Schlaf trotze und meine Träume auf Reisen schicke. Mein Blick geht ins Leere. Nicht die leiseste Ahnung, was mich dort, wo nichts zu sein scheint, erwartet, nichts, denke ich, nur die kalte, geduldige Unerreichbarkeit. Müßig, solchen Gedanken nachzuhängen – mit einer schwarzen Wolke im Herzen. Das fahle Licht in der Ferne schwindet, während mein Kopf zu Boden fällt.
Kalt erwischt
Kalt erwischt durch die wärmende Umarmung eines einzigen Sonnenstrahls. In der Hitze des Tages das Frösteln meines Blutes, das verschwiegene Zittern meiner Worte – urplötzlich ausgelöscht: aller Sinn, alles Bedeuten, so als bliebe von der Wirklichkeit nur eine Handvoll Staub. Ohne einen nennenswerten Grund. Mein Sturz aus heiterem Himmel ins Bodenlose. Keine Wolke, die mich auffängt, keine Hand, die nach mir greift, unsichtbar und unerbittlich. Keine Schwinge, die mich davonträgt. Alles bleibt, wie es ist. Gleichgültigkeit der Sterne. Eisige Stille des Weltraums, die meinen Herzschlag verschluckt.
Schritte
Schritte, die sich entfernen, bis sie im Dunkel der Nacht verstummen. Gesichter, die man nicht erkennt, weil ihnen der menschliche Schimmer abhanden gekommen ist. Namen, die sich – noch während man sie ruft – in Luft auflösen. Ein Vogelschwarm in den Wolken, die gespitzten Lippen der unsichtbaren Sonne – kein Tag, der mich nicht belügt, keine Stunde, die mir nicht die Augen verdreht, keine Nacht, die mir nicht meine Träume stiehlt, meine farblosen Tränen. Schritte, die sich nähern – bis sie mich unter sich begraben. Die Rückkehr des Schlafes.