Dunkel das Herz dieser Welt an einem Tag wie diesem, der dem Winter die Tür öffnet. Ich sehe in die Zukunft, wenn ich meinen Kopf senke, mein stumpfer Blick berührt die Kälte der Erde. Ich fürchte mich nicht. Ich wende mich ab von meiner Angst. Der Himmel: ein Scherbenhaufen. Ich renne nicht davon. Ich vergrabe meine Stimme in den Wolken.
Kategorie: Nachrichten aus dem Niemandsland
(2011)
Ungeschehen
Ungeschehen: die gesammelten Verbrechen eines einzigen Tages, die Sünden und Vergehen der letzten Stunden, die Fehltritte des Augenblicks. Und wenn alles sich änderte – was würde anders? Wenn alles, was wir tun, nur der erste Versuch wäre? Unser Scheitern nur ein Zucken mit der Wimper, nichts von Bedeutung. Jeder Gedanke ein Bote des Schweigens. Unser Leben ein Versehen ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ohne Recht auf Erlösung.
An einem Tag im Winter
An einem Tag im Winter, wenn die Welt im Schnee versinkt, wenn alles, was wir wissen, was wir erschaffen, im Eis begraben wird, alles Denken erfriert. Wenn unser Leben unbewohnbar wird, weil alles, was wir zu kennen glaubten, fremd geworden ist. Wenn einfach alles vorbei ist, weil wir die Kälte nicht mehr ertragen, die wir immer schon spürten, tief in uns, im Innersten unseres Wesens. Vielleicht geht an einem solchen Tag anderswo die Sonne auf, eine Sonne, die zu weit entfernt ist, um einen Namen zu besitzen, ganz zaghaft, ein Hauch nur von Wärme und Licht auf der Haut eines einsamen Steins.
Unsterblich
Unsterblich waren wir, dem Himmel so nah, Göttern gleich. Wir wähnten uns unverwundbar, beide Beine tief in der Erde verwurzelt, den Kopf ins gleißende Licht der Sonne getaucht. Wenn wir in den Spiegel blickten, sahen wir einem Stern ins Gesicht. Wir waren wie Feuer: wild und gewaltig. Unbesiegt, bis zu dem Tag, an dem wir erwachten. Vielleicht nur ein Mückenstich, der uns aus dem Schlaf riss, ein Haar, das zu Boden fiel, oder der Flügelschlag eines Vogels am anderen Ende der Welt.
Keine Fragen mehr
Keine Fragen mehr, alles ist schon erklärt, wir wissen Bescheid. Irgendwo steht bereits geschrieben, was wir gar nicht wissen wollen. Keine Geheimnisse, alles ist enthüllt. Was verborgen ist, haben wir längst vergessen. Alles liegt auf der Hand. Das Leben: eine einzige Offenbarung. Keine Ungereimtheiten, alles ist klar und deutlich. Wir sehen in der Dunkelheit. Was wir suchen, finden wir im Schlaf. Wir suchen nichts. Wir durchschauen uns selbst, nüchtern und ungeniert. Die ganze Welt: vollkommen selbstverständlich.
In der Fremde
In der Fremde geboren, der Welt von Anfang an abhanden, abseits aller Wege ins Glück. Das erste Wort Verzweiflung. Der erste Gedanke ein schwarzes Loch. Gesäugt von der Sprachlosigkeit des Unwirklichen. Geschlagen vom Lächeln der Geborgenheit. Fern von hier, unerreichbar, dieser Ort, den ich niemals verlassen habe. Von der Wirklichkeit eingeholt: der gespielte Schmerz eines namenlosen Narren. Mein Leben jenseits der Gegenwart.
Seltsame Gegend
Seltsame Gegend, die ich mein Zuhause nenne, in die ich hineingeboren wurde – als Fremder, ungefragt und ohne Alternative. Nun bin ich hier verwurzelt. Oder vielleicht doch nur begraben, versunken in den Sümpfen meiner Heimat. Stille in den Straßen, Menschen, deren Namen mir nicht mehr einfallen, farblos und verstummt, mit Gesichtern ohne Augen, ohne Münder. Dieser tote Fluss, der mein Leben durchkreuzt, das flüssige Grabmahl meiner Jugend. Hin und wieder das Läuten der Kirchenglocken, Ruf und Warnung zugleich. Ich bewohne diesen Ort wie ein Vogel, der aus dem Nest gefallen ist.
Der letzte Sonnenschein
Der letzte Sonnenschein in den Zweigen eines Baumes wie das Gekreische spielender Kinder. Das letzte Lachen unter freiem Himmel, der letzte Sprung ins Blaue. Bald schon werden wir zu Eis erstarrt sein, leblos und stumm. Wir werden unsere Augen bloß noch öffnen, um in die Dunkelheit zu blicken. Nichts mehr. Keine Welt, die zu bestaunen wäre, kein Lied, dem wir lauschen könnten. Irgendwann begreifen wir, dass wir allein sind. Nichts hat sich verändert. Wie jeden Morgen sind wir in ein fremdes Leben hinein erwacht.
Von der Leichtigkeit
Von der Leichtigkeit, das Unsagbare auszusprechen, es auf den Punkt zu bringen, immer und immer wieder, ohne Rücksicht auf Verluste und Befindlichkeiten. Die Kunst, was lächerlich erscheint, zu begrüßen. Den Fehltritt zu wagen. Den Mund zu öffnen, um das Selbstverständliche zu befreien. Keine Spielwiese für Helden: die Ausgeburten der Sprache. Keine Bühne für Gewichtheber. Alles in der Schwebe. Schwerelosigkeit der Worte hinter der Stirn eines Narren.
Ein leeres Glas
Ein leeres Glas in meiner Hand – so friedlich, diesen Tod zu sterben, einsam und verkommen. Auf der untersten Stufe einer Treppe in die Unterwelt. Aus der Welt gefallen, vollkommen menschlich, von allen guten Geistern verlassen. Keine Rückkehr in dem, was ich tue, kein Erinnern, kein Erwachen. Keine Wahrheit in dem, was ich verschweige. Keine Wunden mehr, seit ich zu sprechen verlernt habe. Der letzte Schluck wie ein Sturz aus dem Fenster. Grundlos. Bodenlos.