Dunkler Stein

Dunkler Stein in meiner Hand, das Herz eines Vogels, der noch immer klagend die Welt umkreist, ein schwarzes Loch in seiner Brust, in welchem alle Hoffnung verschwindet, alle Freude, alles Lachen. Seltsamer Glücksbringer. Die Tage verschläft er in einer Schublade meines Schreibtisches, aus dem er sich nachts erhebt wie ein Stern, der den Himmel durchlöchert. Eine neue Welt in eisiger Ferne, bevölkert von den Träumen der Verstorbenen, mit denen sich die Straße vor meinem Fenster füllt. Auf welcher Seite des Spiegels wütet der Tod? Welchen Weg wählt die verlorene Zeit meiner Einsamkeit? Keine Erinerung, die nicht aus einer grauen Wolkenschar gestiegen wäre, kein Zögern, kein Versäumen ohne die Wegweiser der Schuld. Zärtlichkeit des Vergessens, die nackte Ahnungslosigkeit meines Schweigens.

Auf dem Abstellgleis

Auf dem Abstellgleis, am Ende meiner Weisheit, heute schon oder erst in ferner Zukunft – welche Rolle spielt das? Ins Abseits gestellt und vor die Tür gesetzt – eine falsche Bewegung, ein falsches Wort. Ein falscher Gedanke genügt schon, um den Himmel einstürzen zu lassen – aber was kann falsch sein an einem Gedanken? Nach den Sternen greifen, um an ihrer Unerreichbarkeit  zu verzweifeln. Das Ziel vor Augen, nur kein Weg, der mich hinführt. Ein einziger Schritt könnte alles verändern, ein bescheidener Beginn. Eine winzige Wahrheit – wo doch alles mit einer Lüge anfängt.

Die letzten Abenteuer

Die letzten Abenteuer einer Welt, die so klein ist, dass man sich selbst auf die Füße tritt. Vielleicht ein Strohfeuer mit dem Gartenschlauch in der Hand. Ein Blick hinauf zum Himmel voller Sternschnuppen oder einfach nur zu tief ins Glas, randvoll mit dem Wasser des Lebens. Das moralische Gesetz in Blindenschrift auf deinen Lippen oder die Todesstrafe unter deinen Fingernägeln. Früh morgens der Spaziergang an der Leine – ohne Wiederkehr. Das Lachen mit verbundenen Augen und gesenktem Kopf. Der tastende Gang die Treppe hinab – in völliger Dunkelheit und mit angehaltenem Atem. Das Zählen der Sekunden, bevor die undurchdringliche Stille des Schlafs mich ausschaltet.

Der geschenkte Tod

Der geschenkte Tod in einer Plastiktüte – wie gerade eben frisch eingekauft im Supermarkt um die Ecke. Nein, es ist nicht einfach diese schicksalhafte Erkrankung, die uns Nacht für Nacht den Schlaf raubt, dieser unabwendbare Unfall, der aus dem prallen Leben ein Häufchen Elend macht, nein, es ist nicht bloß diese zum Himmel schreiende Tragödie mit einem Ahnungslosen in der Hauptrolle. Es ist das Unbegreifliche, das uns in die Hand gedrückt wird wie ein Zollstock, mit dem wir unser Leben vermessen. Dieses Unscheinbare, das wir in der Ecke abstellen, um es für immer zu vergessen. Dieses Unnötige, das wir uns wie ein Schmuckstück um den Hals legen, bevor wir uns zum Sprung entschließen.

Rache ist süß

Rache ist süß, wenn mit dem neuen Morgen ein anderes Leben beginnt, ein Leben ohne Angst, ohne den Nebel des Misstrauens. Wer verbirgt sich hinter deiner Maske? Wer steckt in deiner Haut? Wer weint hinter deinem Lachen? Es ist nicht einmal die Wut, die mich umtreibt, nicht der Hass. Wer weiß, am Ende ist es das Vergessen. Was immer auch geschieht, verschwindet in den Abwässern menschlicher Fehlbarkeit. Da ist nichts, wofür zu sterben sich lohnte. Die schwarze Flamme deiner Augen, erloschen unter nächtlichem Himmel.

Tanz der Schatten

Tanz der Schatten in völliger Finsternis. Was ich sehe, ist die Abwesenheit des Sichtbaren, so überflüssig all die Bewegungen, von denen vielleicht noch ein Fußabdruck in der Zeit bleibt. Es ist die Sonne in deinen Augen, die nach Schlaf ruft, nach ewiger Ruhe mitten im Sturm. Es ist das Lächeln auf deiner Stirn, den Wolken so nah, der Unnachgiebigkeit eines menschenleeren Himmels. Es sind deine Füße, die mich an die Wahrheit des Tanzes glauben lassen – eine Wahrheit, die mich mit Füßen tritt. Die Schatten in deinem Herzen, jener unsichtbaren Flamme entsprungen: kälter als das einzige Wort, das deine Lippen öffnet – für immer dem Irrtum verschrieben.

Kraftlose Schönheit

Kraftlose Schönheit unter freiem Himmel. Die Armseligkeit meines Denkens, so fern der Heimat. Auf dieser Seite des Spiegels bin ich ein Fremder, den Menschen ein Rätsel, ohne Gesicht, namenlos, Sand in den Händen des einen Gottes, der mich vergisst, noch während er mich ansieht. Lichtjahre sind es, die uns trennen – in völliger Finsternis.

Wolken ziehen auf

Wolken ziehen auf, verdunkeln das lichte Blau des Himmels. Ein Vogel im Sinkflug, das Gezwitscher in den Bäumen verstummt. Für einen Augenblick nichts als Stille, vielleicht ein leises Rauschen, als ob der Lärm dieser Welt zu feinem Staub zermahlen wäre. All die Gedanken der Wachenden, die Träume der Schlafenden – ich höre sie: wie man das Gras wachsen hört, wie man die Zeit vergehen hört im Innern einer Sanduhr. Manchmal, wenn man es am wenigsten erwartet, kommt die Welt zur Ruhe, man könnte meinen: sie steht still – doch es ist wie im Auge eines Sturms. Gespannt warten wir auf die Ankunft des Schlimmeren.

Die vergessene Sprache

Die vergessene Sprache, verschwiegen wohnt sie in den Dingen, unbemerkt zwischen Ausrangiertem und Weggeworfenem. Kein Mensch, der sie spricht, niemand, der sie versteht – es gibt ja nichts mehr zu sagen. Längst sind ihre Worte dem Singsang des Notwendigen gewichen, ihre Bedeutsamkeiten dem Geschwätz des Unentbehrlichen. Insgeheim verborgen, nutzlosem Plunder näher als den Lippen der Liebenden. Kein Zuhause für das unaussprechlich Wahre, kein Fenster, das sich zum Himmel öffnet, hier unten. Vergessen oder verloren, der Schmerz verstummt, kein Grund mehr zur Klage.

Hals über Kopf

Hals über Kopf in die Tiefe deines Lachens, dem Sturzflug eines Engels gleich, göttlicher Allmacht entsprungen, bloß um Mensch zu sein, Liebender, sterblich. Ein unbeschriebenes Blatt im Sturm – fast ein Abschiedsbrief, der drohenden Vernichtung entrissen, nackt wie ein erster Sonnenstrahl am Ende des Winters. Die kraftlose Schönheit des gesenkten Blicks, der die Wahrheit nicht aushält. In deinen Augen bin ich nichts weiter als ein Schatten, ein schwarzer Fleck auf der Unschuld des Himmels, verstoßen aus dem Brutkasten ewiger Seligkeit.