Aus der Ferne

Aus der Ferne das Flüstern einer Wolke: es ist schon spät – ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstehe, es ist vielleicht schon zu spät – dazwischen liegen Welten, nichts ahnend, unschuldig. Obwohl die Nacht erst beginnt, ist sie fast schon wieder vorbei. In meiner Vorstellung klingt das nicht wie ein Widerspruch – es ist anders gar nicht denkbar. Im Halbschlaf erzähle ich von meinen Heldentaten. Es ist der Übergang von Tag und Nacht, Nacht und Tag, der mein Denken anstößt. Diese Wolke in der Ferne, das Flüstern. Es ist mein Denken, das spät dran ist, zu spät, auf dem Weg durch die Welt – zu mir.

Hinter dem bekannten Gesicht

Hinter dem bekannten Gesicht: ein Fremder, meine Stimme, irgendwo über den Wolken. Mein Herzschlag im Sinkflug, ohne Eile dem Tod entgegen. Die Treppe ist dort drüben, jede Stufe ein anderes Leben. Du bist der, der da ist: am anderen Ende des Tunnels. Schritte durchs Feuer. Meine Gedanken spiegeln sich in deiner Abwesenheit. Der Mond so nah, die Sterne wie zerbröselte Kekse. Ich erkenne dein Schweigen in meinem Mund, den Schlaf auf deinen Lippen, dein Leben in meiner Hand. Unmöglich, dich zu finden, dein Lächeln, auf der Überholspur.

Die Augen schließen

Die Augen schließen, nichts sehen, die Welt verdunkeln, nur für einen Moment. Die Uhr anhalten, einige Sekunden lang, die Zeit, das verwöhnte Schoßhündchen des Schicksals. Oder einfach umkehren, ohne zu zögern, ohne einen Blick zurück nach vorn dem Morgen die kalte Schulter zeigen. All die Engel am Wegesrand, klagend oder aber bloß erstaunt, höflich vielleicht, die geheuchelte Aufmerksamkeit falscher Tränen. Ich wische den Gedanken beiseite. Ein Vogelschwarm huscht über meine Zunge: Worte, schwarze Schatten.

Worte auf der Flucht

Worte auf der Flucht. Was ich schreibe, entfernt sich von mir, bis es meiner Kontrolle entkommen ist. Was ich schreibe, zerstört mich – so einfach ist das. Aber natürlich zerstört es nicht meine Existenz, sondern lediglich die Bequemlichkeit, mit der ich meine Existenz zur Schau stelle. Meine Worte schneiden mir nicht ins Fleisch, sie zerstückeln nur die Vorstellung, die ich von mir habe. Flucht deshalb, weil sie ohne Ziel sind, zugleich ohne Herkunft. Die Bedeutung der Flucht liegt in ihrer Kraft, Herkunft und Ziel gleichermaßen zu negieren. Die Worte entfernen sich, kommen niemals an.

Eine Stimme aus der Ferne

Eine Stimme aus der Ferne, irgendwo in mir. Das Bild einer Landschaft, farblos – bin ich jemals hier gewesen? Der wortlose Gesang eines Engels, so vertraut – ich kann mich nicht erinnern. Fremde Gesichter sehen mich an, lächeln, erstarren. Ich bin nicht der, den ihr sucht, an den ihr euch erinnert. Ohne Namen, wie diese Stimme, ein sterbender Vogel, der sich an Wolken klammert. Keine Worte, nicht einmal Töne. Kein Mensch, der zuhört, der sich kümmert, der den Atem anhält. Lebendig begraben, diese Stimme, unter den Trümmern meiner Einsamkeit.

Wohin das führt

Wohin das führt, kann ich nicht sagen, es führt zu nichts, es führt in die Irre, zurück an den Anfang, an den Ursprung, in die Irre, zurück in die Endlosigkeit, die Langeweile. Ist es denn möglich, kein Ziel zu haben? Ist es möglich, ohne ein Ziel überhaupt zu beginnen? Ist es möglich, ohne Poesie zu sein? Die Worte sind ohne Bestimmung, verlieren sich, verschwenden ihre Bedeutung. Richtungslos verströmen sie ihren Gesang, ganz ohne ein Verlangen. Regentropfen in der verborgenen Schatzkammer der Stille. Ich beginne damit, einen Vogelkopf in die Luft zu zeichnen, und doch werde ich niemals fliegen können.

Traum von einer menschenleeren Straße

Traum von einer menschenleeren Straße. Kein Laut, der das spärliche Sonnenlicht aufstört, keine neugierigen Blicke. Niemand brüllt meinen Namen. Erinnerungen wie fernes Wetterleuchten, bedrohlicher Frieden gegen Abend. Das verlassene Auto mitten auf einer Kreuzung, seit einer Ewigkeit unterwegs in die Bedeutungslosigkeit. Wie es scheint, komme ich jeden Tag hierher, angezogen von den Schrecken der Stille, bewaffnet mit Schweigen. Und doch bin ich bloß eine Erscheinung am Rande dieser Szene, ein Fremder im Reich der Toten, unerwünscht, menschlicher Makel inmitten der Schatten. Nur ein hässlicher Fleck auf dem Mantel des Vergessens.

Wie Seifenblasen

Wie Seifenblasen: deine bunten Lippen, so kühn. Deine Stimme zerbricht unter meinen Küssen. Dein Lachen. Du wirst es überleben. So wenig zu erzählen zwischen Nacht und Tag, nur Staunen, während das Glück um uns her kälter wird, greifbar. Wir sollten es nicht bemerken, sollten uns abwenden. Wir sollten lebendig sein, rechtzeitig auf der anderen Straßenseite. Du schüttelst den Kopf, dein Haar: ein Ameisenhaufen, der mein Herz umklammert. Eine schwarze Flamme irgendwo am Himmel über der Stadt. So stolz und verloren: deine Lippen, so blass: unsere Verabschiedung der Ewigkeit.

Nur wenige Schritte

Nur wenige Schritte bis zum Ziel oder bis zum Sturz in den Abgrund. Die Brotkrumen auf dem Weg ins Vergessen. Nacht. In tiefem Schlummer: die Tierwelt meiner Sprachlosigkeit. Nur das Rauschen in meinem Kopf. Die Brandung eines Ozeans, der mich verschlingt. Ein Leben lang. Woran sich erinnern, wenn die Welt sich in Tränen auflöst? Wovon sprechen im Innern des Schweigens? Sterbend bin ich die Tiefe dieses Ozeans. Ich bin die Stille, der freie Fall in völliger Dunkelheit. Das Rauschen. Diese Wolke unter der Haut des Schlafes.

An manchen Tagen

An manchen Tagen ist dein Schweigen unerträglich, so verletzend, was du nicht aussprichst, in dir begräbst wie eine lästige Erinnerung. Nicht deine Abwesenheit ist es, die mir zu schaffen macht, nicht dein Verstummen in der Ferne. Ich rufe dich, aber wie in einem Traum, der dich nicht erreicht. Meine Stimme ist ohne Halt, und aus dem Traum gibt es kein Erwachen. Meine Worte strecken sich dir entgegen wie die Hand eines Ertrinkenden. Die Gleichgültigkeit, mit der du meinem Blick ausweichst. Deine Sorglosigkeit, die mich anlächelt. Deine Unfehlbarkeit.